Skip to main content
Do, 17.08.2023
Foto und Video: Per Schröter|

Friedland neu erinnern: Ein Denkmal wird bunt Gemeinsames Kunstprojekt des Museums Friedland und der Bildungsgenossenschaft Südniedersachsen eG setzt ein sichtbares Zeichen für Vielfalt und Toleranz.

In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich junge Menschen aus der Region und aus dem Grenzdurchgangslager Friedland inhaltlich mit dem Mahnmal als Erinnerungsort auseinandergesetzt und anschließend in Graffitiworkshops große Banner farbig gestaltet. Diese wurden zu meterhohen Banderolen verknüpft, und an zwei der vier Stelen des Heimkehrermahnmals auf dem Hagen befestigt und sind nun schon von der Ferne aus zu sehen.

Das Gesamtkunstwerk wurde am 12. August im Rahmen eines Familienfestes der Öffentlichkeit vorgestellt. Bei Kaffee und Kuchen gab es angeregte Diskussionen und viel Zustimmung für die Graffitis der jungen Menschen. Kleine Gäste können sich selbst künstlerisch betätigen.

 

Grußwort von Angela Steinhardt, Bildungsreferentin des Museums Friedland

Sich für Demokratie und Vielfalt zu engagieren, gehört zu den grundlegenden Aufgaben vieler Museen und gilt für das Museum Friedland in besonderer Weise. In unserem Leitbild haben wir die enge Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart sowie die Nachbarschaft von Museum und Grenzdurchgangslager als besonders prägend für unsere Arbeit definiert. Die direkte Nähe zur Erstaufnahmeeinrichtung macht das Museum Friedland zu einem lebendigen Ort, an dem nicht nur Geschichte und Gegenwart, sondern auch Lokales und Globales aufeinandertreffen:

 

 

Für viele Menschen ist Friedland untrennbar mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs verbunden und hat sich in der Nachkriegszeit als „Tor zur Freiheit“ ins kollektive Gedächtnis geprägt. Die Zeitgenossen konnten damals nicht ahnen, dass Friedland fast 80 Jahre später immer noch ein Zufluchtsort für Schutzsuchende, nun aber aus vielen Ländern und somit ein Spiegel weltweiter politischer Konflikte ist.

Die Auseinandersetzung mit den historischen und aktuellen Dimensionen von Migration, wie wir sie in unseren Bildungsangeboten anregen, wirft immer auch übergreifende gesellschaftspolitische Fragen auf. „Über Migration sprechen“ – so der Titel eines unserer Workshops – ist brisant und bringt kontroverse Positionen auf den Tisch. Migration ist eines der „Hotspot“-Themen, an dem sich Meinungen entzünden und das die vielzitierte gesellschaftliche Spaltung sichtbar macht.

Als außerschulischer Lernort möchte das Museum Friedland für diese Themen sensibilisieren, positioniert sich gegen Diskriminierung oder Ausgrenzung und setzt sich für Vielfalt, Demokratie und eine weltoffene Gesellschaft ein. Das spiegelt sich in vielen unserer aktuellen Projekte und langfristigen Partnerschaften. Erwähnen möchte ich hier das durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien geförderte Verbundprojekt „Was uns verbindet“, das von meiner Kollegin Anna-Louise Weßling geleitet wird. Konkret geht es darum, vielfältige Angebote für die Bewohner:innen des Grenzdurchgangslagers zu schaffen, Begegnungen anzuregen und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Als „Synergieeffekt“ konnten wir im Juni aus diesen Mitteln einen eigenen Graffiti-Workshop für GDL-Bewohner:innen finanzieren.

Ein anderes Beispiel ist die Kooperation mit der Polizeidirektion Göttingen, die wir heute auch über die großen Banner am Rand des Platzes sichtbar machen. Durch regelmäßige Workshops für Gruppen der Polizei unterstützt das Museum Friedland das interne Projekt „Polizeischutz für die Demokratie“, das der PD Göttingen sehr am Herzen liegt.

Warum haben wir eigentlich junge Menschen aus dem GDL und Jugendliche aus der Gemeinde Friedland eingeladen sich mit diesem monumentalen Gedenkort auseinanderzusetzen und ihre eigene künstlerische Perspektive beizutragen? Ganz einfach: weil das Mahnmal schon in seiner Entstehungszeit 1966/67 polarisiert hat und es sehr unterschiedliche Sichtweisen darauf gab (und gibt). Ursprünglich sollten verschiedene Beteiligte an der Planung mitwirken und mit dem damaligen Bundes­kanzler Adenauer hatte der Verband der Heimkehrer einen prominenten Unterstützer, der u.a. den Kauf des Grundstücks hier auf dem Hagen initiiert hat. Doch der VdH baute das Monument schließlich im Alleingang. Denn sowohl die per Wettbewerb generierten Entwürfe als auch die Inschriften der insgesamt 12 Tafeln waren umstritten, weil mit Vertriebenen, Kriegsflüchtlingen, Heimkehrern und gefallenen Soldaten ausschließlich deutsche Opfergruppen benannt & beziffert werden.

Die unzähligen anderen Opfer des NS-Regimes, insbesondere jene in den grausamen Konzentrationslagern, werden ausgeblendet und finden hier keine Erwähnung. Eine mahnende Bitte des Bundesvertriebenenministeriums, hierzu noch eine weitere Tafel zu ergänzen, schlug der VdH damals aus. Diese Lücke im Gedenken wurde übrigens schon von Zeitgenossen kritisiert, denn kurz nach der Eröffnung tauchten schon die ersten kritischen Graffitis an den Betonstelen auf. Aus Perspektive der heutigen Gesellschaft, die viel stärker für Diskriminierung und Rassismus sensibilisiert ist, wiegt die Leerstelle in der Erinnerung noch schwerer und wird der Wunsch konkreter, sie zu füllen oder zu ergänzen.

Noch dazu hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass der Gedenkort aufgrund seiner Fokussierung ganz offensichtlich anschlussfähig für ausgrenzende und nationalistische Ideologien ist. Auf rechte Kundgebungen lediglich mit einer Gegendemo und einem Aktionstag zu reagieren, wie es im vergangenen Jahr der Fall war, schien uns als Museum nicht mehr ausreichend. Wir fanden es an der Zeit, ein deutliches und dauerhaft sichtbares Zeichen für Vielfalt zu setzen!

Seit 1967 sind weltweit unzählige andere Menschen Opfer von Kriegen, Gewalt oder politischen Konflikten geworden und mussten aus ihrer Heimat fliehen. Viele von Ihnen (insgesamt sind es mittlerweile über 4,4 Millionen) haben in Friedland Zuflucht gefunden. Momentan sind Menschen aus mehr als 15 verschiedenen Herkunftsländern im Grenzdurchgangslager untergebracht. Was also liegt näher, als die aktuell betroffenen und temporär hier untergebrachten Menschen einzubeziehen und sie gemeinsam mit heimischen Jugendlichen buntes Statement setzen zu lassen?!

Als Bildungsreferentin liegen mir Projekte mit jungen Menschen besonders am Herzen. Ihnen heute präsentieren zu dürfen, wie die Idee einer temporären Kunst­aktion am Mahnmal sich in den ausdrucksstarken und gemeinschaftlich gestalteten Bannern manifestiert hat, ist eine große Freude für mich. Ich möchte mich dafür ganz herzlich bei allen Beteiligten, allen voran den kreativen jungen Leuten bedanken!

Ein großes Dankeschön geht auch an die Partnerschaft für Demokratie und Tobias Schläger von der Bildungsgenossenschaft, die uns das großartige Projekt ermöglicht haben. An die Gemeinde Friedland und Herrn Siems für ihr Vertrauen in unsere verrückten Ideen & die große Unterstützung.

Natürlich auch an Thomas Deisel, ohne dessen Expertise und Geduld die Kunstwerke nicht entstanden wären. Und last but not least an Bodo Mecke, der den Hubsteiger bei Wind & Wetter in luftiger Höhe manövriert und alle Schwierigkeiten der Befestigung gemeistert hat – Chapeau für diesen Kraftakt!

Wie wirkungsvoll eine solche Kunstaktion und das damit gesetzte Zeichen für Vielfalt & Toleranz sein kann, hat sich schon vor ihrer Eröffnung gezeigt: Kurz nachdem wir die Aktion erstmals online über Social Media vorgestellt haben, wurde die eigentlich für den 26. August geplante Kundgebung der rechten Gruppierung abgesagt!

Wir haben das als Bestätigung aufgefasst, wie wichtig es ist, an diesem Ort auch langfristig und dauerhaft sichtbar zu machen, dass er keinen Platz für Ausgrenzung und nationalistische Ideologien bietet. Aus unserer Sicht, die bisher aus vielen Richtungen Zuspruch gefunden hat, wäre es daher wünschenswert, vielleicht sogar nötig, nicht nur den Kontext seiner Entstehung hier sichtbar zu machen, aber auch nach (künstlerischen) Lösungen zu suchen, um die vorhandenen Leerstellen der Erinnerung zu füllen.

Es geht uns nicht darum, das Mahnmal selbst zu verändern oder bunt anzumalen. Mir schwebt eher eine Ergänzung vor, die die Stimmen und Perspektiven anderer Opfer von Krieg und Gewalt sichtbar oder hörbar machen kann. Die den reichlich vorhandenen Raum an diesem auch landschaftlich reizvollen Ort aufwertet, ihn attraktiver macht und Menschen zum Verweilen einladen kann.

Gemeinsam mit Ihnen, mit Menschen, die hier leben und die sehr individuelle Beziehungen zu oder Sichtweisen auf diesen Ort haben, möchten wir daher nach Ideen für eine solche Ergänzung und Kontextualisierung suchen. Dazu möchten wir eine Arbeitsgruppe gründen, für die wir bis zum Herbst noch interessierte Mitdenker:innen suchen – melden Sie sich gern bei uns!

 

Die Leinwände werden je nach Witterung bis in den Herbst zu sehen sein.

Das Kunstprojekt wurde in Kooperation mit der Bildungsgenossenschaft Südniedersachsen eG, dem Jugendbüro der Gemeinde Friedland sowie der Carl-Friedrich-Gauß-Schule Groß Schneen umgesetzt. Es wird gefördert von der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Göttingen.