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JAZDA! - Europa in Bewegung

 

2021/2022 hat das Museum Friedland gemeinsam mit der Fondation Camp des Milles und der Fundacja Krzyżowa unter dem Motto „Gemeinsam erinnern – Zukunft gestalten“ zum ersten Mal einen internationalen Jugendaustausch organisiert. 2023/2024 geht der Austausch in die zweite Runde. Partner sind diesmal die Fundacja Krzyżowa, das Foyer International d‘Études Françaises und der Internationale Bund Freiwilligendienste Göttingen. Gefördert wird der Austausch durch das Deutsch-Französische Jugendwerk und das Deutsch-Polnische Jugendwerk.

 

 



1. Phase in Krzyżowa (Polen)

 

 

Themen und inhaltliche Schwerpunkte

Im Projekt JAZDA geht es darum, dass sich junge Erwachsene aus Frankreich, Deutschland und Polen im Rahmen von drei Projektphasen mit den Themen Migrationen(en), Erinnerung(en) und Identität(en) auseinandersetzen und zwar vor dem Hintergrund ihrer eigenen Wahrnehmung der politischen Situation in Europa sowie biografischen Erfahrungen aus erster oder zweiter Hand. Diese Auseinandersetzung erfolgt mittels verschiedener Methoden, die die Perspektiven und Beiträge der Teilnehmenden in den Mittelpunkt stellen.

So war ein Schwerpunkt dieser ersten Begegnungsphase die eigene Familienbiografie, was überdies den Effekt hatte, dass sich die Teilnehmenden gut kennenlernen und als Gruppe zusammenwachsen konnte. Dies erlaubte den zweiten Schwerpunkt der Woche in Krzyżowa, nämlich die Erkundung von Widerstands- und Versöhnungsgeschichte am historischen Ort sowie eine erste Reflexion zum Umgang mit Erinnerung. Der dritte Schwerpunkt war die Brücke in die Gegenwart zum Thema Migration, hier aus einer Perspektiven von Aktivist:innen, die sich innerhalb Polens und/oder an den EU-Außengrenzen für Migrant:innen einsetzen.

Neben diesem Themendreiklang lag der Fokus der Begegnung auf dem interkulturellen Lernen durch gemeinsame Aktivitäten: Sprachanimationen gehörten zu jedem Tag dazu und wurden mit großer Begeisterung aufgenommen. Eine kleine Trainingseinheit und das anschließende eigene Anleiten durch die Teilnehmenden führte zu einem großen Lernerfolg. Zudem sollten die Teilnehmenden ihre eigenen Freiräume zum Gestalten haben, was innerhalb des Abendprogramms sowie des Open Space am letzten Tag passierte: In diesem Zeiträumen fand vielfältige, von den Teilnehmenden selbst moderierte und oft sehr kreative Workshops statt.

Ein weiteres Ziel der Begegnung war eine erste Annäherung an eine mögliche Abschlusspräsentation, die die Projektinhalte auch Personen außerhalb des Projekts zugänglich machen sollte. Die Arbeit zur Familienbiografie stellt einen ersten Baustein in diesem Produkt dar. Erste Konzeptskizzen zur Abschlusspräsentation wurden anhand der Fragen „Woran wollen wir erinnern?“ und „Wie wollen wir erinnern?“ entwickelt. Die Ergebnisse bewegen sich zwischen Foto-/Kunstausstellung und Videodokumentation (s.u.). Dies wird in den Folgephasen vertieft.

Teilnehmende

Alle Teilnehmenden sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Die deutsche Gruppe setzt sich ausschließlich aus Freiwilligendienstleistenden zusammen, die ein Jahr lang in sozialen Einrichtungen in Göttingen und Umgebung tätig sind. Ihnen allen wurde das Projekt in ihrem Einführungsseminar vorgestellt. Für diejenigen, die sich dafür entschieden haben, daran teilzunehmen, ersetzen die drei Jazda-Projektphasen die regulären Freiwilligendienstseminare. Die Teilnehmenden der polnischen und der französischen Gruppe wurde über die Werbung der Partner in ihren jeweiligen lokalen Netzwerken gefunden. Es handelt sich bei den meisten Personen um Studierende.

Alle Personen kommen aus dem eher ländlichen Raum, in dem es nicht viele Angebote im Bereich des interkulturellen Austauschs gibt. Dank der Förderung durch das DFJW können sie nun erstmals ohne großen Aufwand an einem solchen Projekt teilnehmen. Zudem haben viele durch die Corona-Jahre nicht die Möglichkeit gehabt, Auslandserfahrungen zu sammeln und Gleichaltrige anderer Länder zu treffen. Auf dieses Bedürfnis nach interkultureller Begegnung können wir bei JAZDA nicht nur methodisch, sondern auch thematisch reagieren.

Unterkunft

Die Unterkunft in Krzyżowa ist der zur Europäischen Jugendbildungsstätte umgebaute Gutshof der Familie Moltke (Kreisauer Kreis). Auf einem Gelände befinden sich die Mehrbettzimmer, der Speisesaal, die Seminarräume, Kreativ- und Sporträume, Außenspielflächen sowie die Gedenkstätte Kreisauer Kreis und zwei Open Air-Ausstellungen zur deutsch-polnischen Versöhnung und zu den Jahren des Zweiten Weltkriegs. Insbesondere für eine erste Projektphase ist dieser Ort optimal geeignet, damit die Gruppe sich als solche zusammenfinden kann. Die Landschaft um das Dorf herum bietet sich für Spaziergänge (im Schnee!) in den Pausenzeiten an; gleichzeitig gibt es aber wenig Ablenkung und alles ist dicht beisammen und diese kurzen Wege sind für den Seminarablauf sehr praktisch. Die Küche konnte gut auf alle Ernährungsgewohnheiten eingehen. Die Anbindung ist über einen etwa stündlich fahrenden Zug gegeben, alternativ lohnt es sich bei großen Gruppen finanziell auch, einen Bus zu chartern, was wir für den Ausflug nach Wroclaw machten.

Aktivitäten und pädagogische Methoden des Programms

Der Samstagabend und der Sonntagmorgen standen im Zeichen des Kennenlernens der Gruppe mittels verschiedener Sprachanimationen. Dem schloss sich ein thematischer Einstieg an, indem die Teilnehmenden die wichtigsten Ereignisse in ihrem Leben zeichnerisch darzustellen.

Am Sonntagnachmittag führten wir diese Übung fort. Die Ereignisse wurden auf die Erlebnisse ihrer Großeltern erweitert. Alle Erinnerungen wurden auf einem Zeitstrahl angeordnet und mit weltgeschichtlichen Ereignissen verknüpft. Dann ging es darum, die verbindenden Elementen zwischen den Geschichten zu finden.

Am Montagmorgen richtete sich der Blick dann auf die lokalen historischen Ereignisse: In drei Gruppen wurden die Teilnehmenden über das Gelände des ehemaligen Gutshofs der Familie Moltke, dem heutigen Sitz der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung geführt. Dabei lernten sie die Ideen der Mitglieder des Kreisauer Kreises kennen und erfuhren zudem, welch große Bedeutung das kleine Dorf Kreisau für die deutsch-polnische Freundschaft hat. Dieses gesammelte Wissen trugen die Teilnehmenden anschließend in einem Puzzle zusammen.

Mit diesen Eindrücken im Hinterkopf wurde am Nachmittag die familienbiografische Arbeit fortgesetzt. Die gesammelten Geschichten sollten nun in Kleingruppen in einen kreativen Zusammenhang gebracht werden. Die Idee dahinter war, dass sich die Teilnehmenden nicht nur mit der Auswahl der erinnerten Aspekte, sondern auch mit der Darstellungsform dieser Erinnerung befassen. Dabei entstanden viele intensive Gespräche.

Am Mittwoch stand ein Ausflug nach Wroclaw auf dem Programm. Hier erkundeten wir zunächst einem sehr raumbildgewaltigen Museum die Geschichte der Stadt, die sehr gut zum Thema Migration passte. Anschließend vertieften die Teilnehmenden ihre Eindrücke bei einer Fotorallye. Der Ausflug gefiel allen gut und bot auch eine willkommene Abwechselung nach den zwar sehr aktiven, aber in der Summe doch sehr kopflastigen methodischen Sessions der vorherigen Tage.

Am Donnerstag nahmen wir uns Zeit für einen der, wie sich im Nachhinein herausstellte, bewegendsten Momente der Woche: Eine Teilnehmerin war vor zwei Jahren als Aktivistin an der polnisch-belarussischen Grenze aktiv gewesen und hatte dort mit einem Verein humanitäre Hilfe geleistet. Dieser Verein hatte anschließend auch eine Videodokumentation veröffentlicht. Wir sahen uns somit ein etwa zwanzigminütiges Video an, in dem die Teilnehmerin von ihren Erfahrungen berichtet. Dieses Video erlaubte uns, an ihren Erfahrungen teilzuhaben, ohne sie jedoch in die Situation zu bringen, alles noch einmal erzählen zu müssen. Nach dem Video entstand ein sehr einfühlsames Gespräch mit Nachfragen, aber auch eigenen Erfahrungsberichten. Ein französischer Teilnehmer arbeitet beispielsweise als Dolmetscher im Asylverfahren und konnte davon berichten.

Am Nachmittag kamen sechs ältere Menschen aus Swidnica zu Besuch, die ein Erzählcafé für Neuzugezogene leiteten. Manche von ihnen hatten selbst eine Migrationsgeschichte. In Kleingruppen unterhielten sie sich mit den Teilnehmenden, die ihnen viele interessierte Fragen sowohl nach ihrer eigenen Biografie als auch nach ihrem Engagement stellten. Durch die Gegenfragen entwickelten sich in manchen Gruppen lebhafte Gespräche, in einigen Gruppen wurden sogar gemeinsam ukrainische Lieder gesungen.

Während der gesamten Woche lag die Abendgestaltung größtenteils in den Händen der Teilnehmenden. Bereits am Montagabend fand sich jedoch eine Gruppe zusammen, die begeistert in Tanzworkshops Salsa und ukrainische Volkstänze lernte, da zwei Personen aus der Gruppe dies den anderen beibringen konnten. Am Dienstagabend war Freizeit angesagt, am Mittwochabend ein Film. Am Donnerstag bereitete die polnische Gruppe das Fest Andrzejki (Andreasnacht), das von polnischen Jugendlichen Ende November gefeiert wird. Während des Fests geht es um Wahrsagen und einen Blick in die Zukunft in einem mit Kerzen erleuchteten Raum. Die polnischen Teilnehmenden bereiteten diesen Brauch mit sehr viel Sorgfalt vor und alle hatten sehr viel Spaß, daran teilzunehmen.

Sprachliche Verständigung

Unsere gesamte Woche fand viersprachig statt: Die Gespräche fanden sowohl auf Deutsch, Polnisch und Französisch sowie auf Englisch statt. Weitere Sprachen waren in der Gruppe vorhanden, wie Bosnisch, Spanisch, Dari und Ukrainisch. Diese Sprachen kamen zum Beispiel bei Sprachanimationen zum Einsatz. Die gesamte Gruppe war insgesamt sehr sprachlernfreudig, sodass auch im informellen Rahmen viel über Sprache geredet und voneinander Sprachen gelernt wurden.