„Man kann sich nicht vorstellen, was einen erwartet.“
Am Samstag, 18. Juni, fand im CentralTheater Brake ein Zeitzeug:innengespräch mit Geflüchteten statt, die zwischen 1945 und 2015 in Norddeutschland angekommen sind. Unter dem Titel „Fluchtpunkt Niedersachsen. Erzählen von Abschied, Ankunft, Neubeginn“ ging es um die Wege der Flucht, vor allem aber auch um das Ankommen in Deutschland.
Als Zeitzeug:innen waren Mojgan Elyasi (Berne), Annelie Keil (Bremen), Frank Klimmeck (Rodenkirchen), Abdul Razzaq Nasser (Lemwerder) und Sivalingam Sireetharan (Brake) auf das Podium eingeladen. Allen gemeinsam ist die Erfahrung, dass sie ihre Heimat in Folge von Krieg, Repression und Waffengewalt verlassen und hier in Norddeutschland einen Neuanfang machen mussten. Die Moderation lag in den Händen von Leila Ercan von Niedersächsischen Staatstheater Hannover. „Integration liegt mir am Herzen!“
Gleich bei der Begrüßung deutete Landrat Stephan Siefken das an, worauf es beim Umgang mit Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund ankommt: auf das menschliche Miteinander. Er zeigte sich überzeugt, dass dies in der Wesermarsch seit Langem sehr gut funktioniert. Dieser Meinung war auch der ebenfalls anwesende Wissenschaftsminister Björn Thümler. In der Region habe schon immer Berührungspunkte mit Geflüchteten gegeben habe. Er betonte die Wichtigkeit der Gespräche miteinander: Erlebnisse zu teilen, sei wichtig, ebenso das Zuhören, Aufnehmen und Annehmen. „Wer die Vergangenheit ausblendet, verliert einen Teil des eigenen Ichs.“ Björn Thümler wies auf die hervorragende Arbeit des Refugiums Wesermarsch hin. Insgesamt gäbe in der Gesellschaft aber noch Luft nach oben.
Die Zeitzeug:innen blicken auf ganz unterschiedliche Erfahrungen: Während Frank Klimmeck 1945 auf den Hof der Großeltern zurückkehren konnte, waren Weg und Ziel der restlichen Zeitzeug:innen zunächst noch ungewiss. Und so war es große Unsicherheit, die den Weg und die erste Zeit hier prägte. und unsicher. „Man kann sich nicht vorstellen, was einen erwartet, wenn man so etwas noch nicht erlebt hat,“ fasst Abdul Razzaq Nasser, der 2015 aus Syrien nach Deutschland kam, diese Unsicherheit zusammen. Alle Zeitzeug:innen waren sich sicher, dass es „keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse“ geben dürfe. Niemand könne beeinflussen, wo er oder sie geboren werde. Es brauche kein Mitleid, sondern Mitgefühl und menschliche Zuwendung, ergänzte die 83-jährige Annelie Keil. Sich nur auf die Politik zu verlassen sei falsch: „Wir müssen selbst auch was machen.“
Die Gesprächsreihe „Fluchtpunkt Niedersachsen“ fand erstmalig 2021 auf gemeinsame Initiative des Museums Friedland mit den beiden Landesbeauftragten Doris Schröder-Köpf und Editha Westmann statt. Bei den generationsübergreifenden Gesprächen zeigte sich, dass die Erfahrungen der Flucht und des Ankommens sehr ähnlich sind. Ziel ist es, durch die Gespräche Verständnis füreinander und Bewusstsein für das Thema Migration allgemein in der Bevölkerung zu aufzubauen. Das Zeitzeug:innengespräch in Brake bildet den Auftakt für vier weitere Gespräche in Norden, Braunschweig, Lüneburg und Berlin. Die Veranstaltungsreihe wird von der Niedersächsischen Lotto-Sport-Stiftung unterstützt.
Eine Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier.