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Thu, 19.07.2018
Christian Paul und Archivarin Ewa Kruppa|

Das Erbe des Fotografen Fritz Paul

Fritz Paul ist der Fotograf, der das Grenzdurchgangslager Friedland und die dort Ankommenden wie kein anderer Vertreter seines Metiers im Bild festgehalten hat. Von den späten 40ern bis in die 70er Jahre lichtete er regelmäßig Menschen, Gebäude und festliche Anlässe im Lager ab. Kein Wunder, dass in unserer Dauerausstellung 32 Werke von ihm gezeigt werden. Fritz Pauls einziger Sohn Christian hat diese und viele andere, die unsere Sammlung bereichern, dem Museum zur Verfügung gestellt – wie auch mehrere wertvolle Kameras, mit denen die Aufnahmen gemacht wurden.

Wir freuen uns, dass Dr. Christian Paul unserer Arbeit so verbunden ist.

Der 70-jährige ehemalige Agrarforscher befasst sich noch immer intensiv mit dem fotografischen Werk, das Fritz Paul hinterlassen hat. „Auch lange nach seinem Tod sorgt mein Vater dafür, dass ich noch ganz schön beschäftigt bin“, sagt der aufgeschlossene Mann mit einem verschmitzten Lächeln. Mit ähnlicher Leidenschaft, die Fritz Paul als Fotograf an den Tag legte, widmet sich Christian Paul nun der Aufbereitung der Tausenden von Bildern, die sein Vater schoss. „Fritz Paul war buchstäblich ein rasender Reporter, ich habe das Bild noch gut vor Augen, er im wehenden Mantel, dem er ständig vorauszueilen schien, die Kamera im Anschlag. Da blieb keine Zeit, ein Archiv zu führen“, erzählt Christian Paul. Die ganze Wohnung sei ein Fotolabor gewesen, die Negativstreifen hingen in der Küche, überall stapelten sich Filmrollen, Fritz Pauls Frau Gisela war Assistentin und Telefonzentrale zugleich.

Im Gespräch wird deutlich, wie unterschiedlich die Perspektiven waren, mit denen Fritz Paul durch die Linse auf das Grenzdurchgangslager und die Menschen dort blickte. Zum einen sind da ruhige, fast intim anmutende Portraits von Ankommenden, aus deren Blick häufig Erschöpfung, Leere und Sorge sprechen. Bei diesen Bildern scheint der Fotograf den Menschen sehr nahe gekommen zu sein. „Mein Vater, der nach dem Krieg als junger mittelloser Fotoassistent in Göttingen arbeitete, besuchte das Lager immer wieder, weil die Menschen mit ihren Fluchtgeschichten ihn nicht losließen. Seine eigene Familie war aus Ostpreußen vertrieben worden, er selbst entging der sowjetischen Kriegsgefangenschaft durch einen Sprung vom fahrenden Transport, zwei seiner Brüder starben im Zweiten Weltkrieg, das hat ihn und seinen Blick auf die Welt geprägt“, sagt Christian Paul.

Ein Bild, das für viele andere stellvertretend ist, zeigt das gemeinsame Mahl einer Aussiedlerfamilie aus den fünfziger Jahren im Speisesaal: Die Frau trägt Hut, die Kinder sind akkurat gescheitelt, alle sitzen sehr aufrecht – eine Szene, die an die damalige Fernsehwerbung erinnert und bewusst so arrangiert wurde, um Spenden einzuwerben. Oder eine Postkarte mit einer Ansicht vom Lager: blumengeschmückte Baracken, ein Kinderspielplatz, Sitzbänke, die zum Verweilen einladen. Solche Aufnahmen entstanden im Auftrag der Verwaltung, um das Bild einer heilen Welt in der Öffentlichkeit zu vermitteln. In unzähligen Aufnahmen dokumentierte Fritz Paul Gebäude und Denkmäler im Lager, u.a. etwa den Baufortschritt der St. Norbert- Kirche. Auch diese sind von unschätzbarem Wert für die Erforschung der Geschichte des Grenzdurchgangslagers.

„Mein Vater hat sich vermutlich nie als Chronist verstanden, er war getrieben von der Tagesaktualität“, sagt Christian Paul. Vom ungelernten Fotoassistenten, der nach dem Krieg Reproduktionen von Pässen und Ausweispapieren der Flüchtlinge und Vertriebenen anfertigte, arbeitete er sich zum gefragten Bildjournalisten hoch, der regelmäßig die Deutsche Presseagentur belieferte und sich an dem damals sehr profilierten Deutschen Theater in Göttingen auch als Theaterfotograf mit künstlerischem Anspruch und einem guten Gespür für Bildkomposition einen Namen machte.

Auch uns wird das Werk von Fritz Paul, der im nächsten Jahr 100 Jahre alt würde, noch lange beschäftigen. Eine spannende Aufgabe, der wir uns sehr gerne widmen.

Eva Völker