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Wed, 02.08.2017
Integrationskursteilnehmer*innen beim Gang durch die Ausstellung|

Die Dinge zum Sprechen bringen

Die Dinge zum Sprechen bringen
Es war ein besonderer Tag im Museum Friedland: Ein Integrationskurs der LEB Northeim kam zu einem Workshop ins Museum. Schon vorab hatten die etwa 20 Teilnehmer*innen sich im Unterricht auf den Besuch vorbereitet und nicht nur über die Aufgaben eines Museums gesprochen, sondern auch das Grenzdurchgangslager Friedland kennengelernt. Im Museum angekommen, konnten die neugierigen Teilnehmer*innen zunächst in Zweierteams eine Rallye durch die Ausstellung absolvieren.

Anhand von Fotos sollten sie Objekte aus der Ausstellung finden und etwas über sie in Erfahrung bringen: Z. B. ein Suchplakat des Deutschen Roten Kreuzes aus dem Jahr 1950 mit Fotos von Kindern, die ihre Eltern auf der Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg verloren hatten. Oder ein Brustbeutel mit den Namen von Verwandten in Westdeutschland, den eine Mutter ihren Kindern während der Flucht aus Pommern kurz vor Kriegsende um den Hals gelegt hatte. Oder auch ein Foto der Hai Hong aus dem Jahr 1978 mit Hunderten vietnamesischer Boat People an Bord.

Was es bedeutet, seine Heimat verlassen zu müssen, haben die Kursteilnehmer*innen selbst erfahren, einige von Ihnen waren auf der Flucht großen Gefahren ausgesetzt. Beim Anblick von Fotos der Boat People aus Vietnam griff ein Mann aus Syrien spontan zum Handy, um den Guides ein Video zu zeigen,  das er selbst während der Fahrt über das Mittelmeer in einem kleinen Schlauchboot gedreht hatte. Die Begegnung mit den Objekten im Museum regte auch den Rest der Gruppe zum Erzählen an. „Scheinbar banale Dinge können so spannend sein, man muss sie nur zum Sprechen bringen“, sagt Museumspädagogin Angela Steinhardt. Und das ist offenbar geglückt. Die Teilnehmer*innen jedenfalls haben viel erzählt und kluge Fragen gestellt. Sie teilten die Erfahrungen, die sie selbst auf dem Weg nach Deutschland gemacht haben. Ihre Geschichten waren umso interessanter, als sie aus ganz unterschiedlichen Ländern gekommen sind, u. a. Syrien, Ukraine, Albanien, Iran oder Kasachstan.

Ein weiteres Ausstellungsstück, das auf besonderes Interesse stieß, war die Einbürgerungsurkunde eines gebürtigen Ungarn aus dem Jahr 1967. Unter den Teilnehmer*innen entwickelte sich ein Gespräch darüber, dass manche Menschen sofort eingebürgert werden, wie z. B. Igor, der 2015 als Spätaussiedler aus der Ukraine kam, Menschen, die in den letzten zwei Jahren als Flüchtlinge nach kamen, dagegen nicht.

„Diese Eindrücke und Gespräche sind ein umfassendes Lernerlebnis für die Teilnehmer*innen“, sagt der Historiker Rainer Ohliger, der den Workshop zusammen mit der Museumspädagogin Angela Steinhardt konzipiert hat. „Sprache, politische Inhalte, rechtliche Bestimmungen, Reflektieren der eigenen Biografien - auf all diesen Gebieten haben die Teilnehmer*innen Neues dazugelernt.“ Und dabei ganz offensichtlich viel Freude gehabt. Vielleicht auch, weil sie selbst aktiv werden, ihre eigenen Erfahrungen einbringen und anhand realer Gegenstände arbeiten konnten. Im normalen Unterrichtstalltag ist das nur selten der Fall.

Die Begeisterung der Teilnehmer*innen war jedenfalls auch am folgenden Tag noch zu spüren, als sie ihrer Dozentin Olga Batzel von den Erfahrungen im Museum berichteten. Der Besuch des Integrationskurses war der Auftakt eines von der Bundeszentrale für Politische Bildung geförderten Projektes, das vom Museum Friedland in Kooperation mit der LEB Northeim und der VHS Göttingen-Osterode initiiert wurde. Ziel ist es, einen Bildungsrucksack mit Dingen zu konzipieren, die Menschen zum Sprechen bringen. Dieser Rucksack soll  künftig auch in anderen Integrationskursen verwendet werden können.

Eva Völker