Angesichts der Perspektivlosigkeit und in der Hoffnung auf ein Leben in Freiheit fasste Hongs Mutter 1980 den Entschluss, das 15jährige Mädchen auf die Flucht zu schicken. Der Vater war zusammen mit vier Kindern seit seinem ersten Fluchtversuch 1975 verschollen. „Ich würde nie aus Vietnam flüchten, wenn ich nicht müsste", erklärt Hong.
Die Geretteten wurden in das indonesische Flüchtlingslager Galang gebracht. Dort begann Hong auch schon Deutsch zu lernen. Aber eine Vorstellung von Deutschland hatte sie damals noch nicht. Im Dezember 1980 kam Hong nach Friedland. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Schnee gesehen,“ schwärmt Hong begeistert, als sie von der Ankunft in Friedland erzählt. Nach einem kurzen Aufenthalt in Friedland erfolgte der Transfer nach Norden ins Haus Nazareth, wo Hong Integrations- und Sprachkurse besuchte. Drei Jahre später kam ihre Mutter im Zuge der Familienzusammenführung nach. Heute lebt Hong in Nordrhein-Westfalen.
„Das ist für mich das Wichtigste in meinem Leben, eine Familie zu haben.“
Für die 1968 in Saigon geborene An begann die Flucht im April 1980 von einem kleinen Ort aus in der Nähe von Saigon in einem Fischerboot. „Alle Männer, die für die damalige Regierung gearbeitet haben, sollten sich zusammenfinden. Und das hieß ja auch, sie sollen zwei oder drei Tage da in diese Lager und dann auf einmal waren sie verschwunden“, erzählt An, als sie an die Zeit nach der gewaltsamen Übernahme Saigons denkt, und erinnert sich, dass auch ihr Vater ins Umerziehungslager verschleppt wurde: „Mein Vater wurde eines Tages in diese Zwangslager gebracht und so war meine Mutter auch alleinerziehend und hat dann für uns gesorgt.“ Für An und ihren Bruder sah die Mutter keine Perspektive in Vietnam. Erschwerend kamen die wirtschaftlichen Repressionen und Enteignungen hinzu, die die Familie um jegliche wirtschaftliche Grundlage gebracht hat. In der Hoffnung auf ein angstfreies, menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben bereitete Ans Mutter die Flucht vor.
Die Fahrt übers offene Meer dauerte ungefähr fünf Tage. Das Boot kam vom Kurs ab und geriet in die Fänge von Piraten vor der thailändischen Küste. Nach ungefähr fünf Tagen gelang es den Flüchtlingen, sich an den Strand von Thailand zu retten. Die erste Zuflucht fand An in dem Flüchtlingslager Songkhla, wo sie fast ein halbes Jahr verbrachte. „Es hatte in Stürmen geregnet und wir haben einen Reissack als Unterschlupf gehabt. Noch nicht mal ein Zelt hatten wir, gar nichts. Wir waren einfach nass. Aber das im Verhältnis, dass wir überhaupt in Sicherheit waren, das war schon für uns Glück,“ berichtet An. Im Oktober 1980 konnte An endlich das Lager verlassen und nach Deutschland einreisen. Ihre erste Station war Friedland. Eine dauerhafte Bleibe fand An in Niedersachsen. „Ich schenke allen Leuten immer ein Lächeln. Ich lächle jeden an, weil ich einfach dieses Glück schätze, dass ich überhaupt meinen Mann habe. Das ist für mich das Wichtigste in meinem Leben, so eine Familie zu haben. Und meine Gesundheit natürlich,“ resümiert An.
„Humanitäre Aufnahme“
Vor 46 Jahren kamen die ersten 1008 Flüchtlinge am 3. Dezember 1978 am Flughafen Langenhagen in Niedersachsen an und wurden ins Grenzdurchgangslager Friedland gebracht, nachdem sie auf Initiative des damals regierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht von der Hai Hong, einem mit 2500 Menschen an Bord überfüllten Frachter, der vor Malaysia ankerte und keinen Hafen anlaufen konnte, gerettet wurden.
Die Aufnahme der ersten „boat people“ als humanitäre Rettungsaktion zeichnet ein neues Bild von deutscher Flüchtlingspolitik der 1970er Jahre, die die spätere Asylpolitik nachhaltig prägte und unter dem Stichwort „humanitäre Aufnahme“ vielen Geflüchteten Schutz gewährte.