Di, 03.12.2024
Thi To Hong Bui und An, Anfang 2024. Foto: Museum Friedland|

Rettung auf hoher See

 

Nach dem Fall Saigons 1975 und der gewaltsamen Wiedervereinigung Vietnams begann für die Menschen in Südvietnam ein Leben voller Angst vor Verfolgung, Folter und Internierung. Unzählige Zivilisten flüchteten vor dem Schreckensregime der kommunistischen Regierung. Meist führte die Flucht übers Meer in nicht seetüchtigen Booten, viele kamen dabei ums Leben. Einigen gelang die Flucht mit Hilfe von Rettungsschiffen, wie z. B. der „Cap Anamur“, die von 1979 bis 1986 über 10.000 Menschen rettete. Der Journalist Rupert Neudeck initiierte die humanitäre Rettungsaktion mit großer Unterstützung.

 

Unter den Geretteten war auch Thi To Hong Bui, geboren 1965 und aufgewachsen in Saigon. „Und zum Glück nach zwei Nächten und drei Tagen auf dem Meer, da tauchte plötzlich ein dunkler Punkt am Horizont auf und nach und nach haben wir erkannt, dass es ein Helikopter war. Und das war von der Cap Anamur, dieser Helikopter. Sie suchten in diesem Gebiet nach Booten und ich verstand, dass sie uns retten wollten,“ erinnert sich Hong an den Tag der Rettung. 

Das Boot, auf dem Hong flüchtete. Die Aufnahme wurde von der Cap Anamur aus gemacht. Foto: Thi To Hong Bui
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Angesichts der Perspektivlosigkeit und in der Hoffnung auf ein Leben in Freiheit fasste Hongs Mutter 1980 den Entschluss, das 15jährige Mädchen auf die Flucht zu schicken. Der Vater war zusammen mit vier Kindern seit seinem ersten Fluchtversuch 1975 verschollen. „Ich würde nie aus Vietnam flüchten, wenn ich nicht müsste", erklärt Hong.  

Die Geretteten wurden in das indonesische Flüchtlingslager Galang gebracht. Dort begann Hong auch schon Deutsch zu lernen. Aber eine Vorstellung von Deutschland hatte sie damals noch nicht. Im Dezember 1980 kam Hong nach Friedland. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Schnee gesehen,“ schwärmt Hong begeistert, als sie von der Ankunft in Friedland erzählt. Nach einem kurzen Aufenthalt in Friedland erfolgte der Transfer nach Norden ins Haus Nazareth, wo Hong Integrations- und Sprachkurse besuchte. Drei Jahre später kam ihre Mutter im Zuge der Familienzusammenführung nach. Heute lebt Hong in Nordrhein-Westfalen.

„Das ist für mich das Wichtigste in meinem Leben, eine Familie zu haben.“

Für die 1968 in Saigon geborene An begann die Flucht im April 1980 von einem kleinen Ort aus in der Nähe von Saigon in einem Fischerboot. „Alle Männer, die für die damalige Regierung gearbeitet haben, sollten sich zusammenfinden. Und das hieß ja auch, sie sollen zwei oder drei Tage da in diese Lager und dann auf einmal waren sie verschwunden“, erzählt An, als sie an die Zeit nach der gewaltsamen Übernahme Saigons denkt, und erinnert sich, dass auch ihr Vater ins Umerziehungslager verschleppt wurde: „Mein Vater wurde eines Tages in diese Zwangslager gebracht und so war meine Mutter auch alleinerziehend und hat dann für uns gesorgt.“ Für An und ihren Bruder sah die Mutter keine Perspektive in Vietnam. Erschwerend kamen die wirtschaftlichen Repressionen und Enteignungen hinzu, die die Familie um jegliche wirtschaftliche Grundlage gebracht hat. In der Hoffnung auf ein angstfreies, menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben bereitete Ans Mutter die Flucht vor.

Die Fahrt übers offene Meer dauerte ungefähr fünf Tage. Das Boot kam vom Kurs ab und geriet in die Fänge von Piraten vor der thailändischen Küste. Nach ungefähr fünf Tagen gelang es den Flüchtlingen, sich an den Strand von Thailand zu retten. Die erste Zuflucht fand An in dem Flüchtlingslager Songkhla, wo sie fast ein halbes Jahr verbrachte. „Es hatte in Stürmen geregnet und wir haben einen Reissack als Unterschlupf gehabt. Noch nicht mal ein Zelt hatten wir, gar nichts. Wir waren einfach nass. Aber das im Verhältnis, dass wir überhaupt in Sicherheit waren, das war schon für uns Glück,“ berichtet An. Im Oktober 1980 konnte An endlich das Lager verlassen und nach Deutschland einreisen. Ihre erste Station war Friedland. Eine dauerhafte Bleibe fand An in Niedersachsen. „Ich schenke allen Leuten immer ein Lächeln. Ich lächle jeden an, weil ich einfach dieses Glück schätze, dass ich überhaupt meinen Mann habe. Das ist für mich das Wichtigste in meinem Leben, so eine Familie zu haben. Und meine Gesundheit natürlich,“ resümiert An.

„Humanitäre Aufnahme“

Vor 46 Jahren kamen die ersten 1008 Flüchtlinge am 3. Dezember 1978 am Flughafen Langenhagen in Niedersachsen an und wurden ins Grenzdurchgangslager Friedland gebracht, nachdem sie auf Initiative des damals regierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht von der Hai Hong, einem mit 2500 Menschen an Bord überfüllten Frachter, der vor Malaysia ankerte und keinen Hafen anlaufen konnte, gerettet wurden.

Die Aufnahme der ersten „boat people“ als humanitäre Rettungsaktion zeichnet ein neues Bild von deutscher Flüchtlingspolitik der 1970er Jahre, die die spätere Asylpolitik nachhaltig prägte und unter dem Stichwort „humanitäre Aufnahme“ vielen Geflüchteten Schutz gewährte.

Fr, 22.11.2024 Do, 24.10.2024