Fr, 05.04.2019
Dauerausstellung mit "Gastobjekt"|

Portrait eines Freundes

Es fällt nicht sofort ins Auge. Ein bisschen sieht es aus wie die Schwarz-Weiß-Fotos in unserer Ausstellung: Das Portrait eines Mannes, vielleicht 30 Jahre alt, Dreitagebart, nachdenklicher Blick. Es gehört eigentlich nicht hierher. Jemand hat es provisorisch an dieser Wandinstallation befestigt. Das erinnert mich an die Aktion des Graffiti-Künstlers Banksy, der vorigen Sommer eine Tonscherbe mit der Abbildung eines frühzeitlichen Jägers und Sammlers samt Einkaufswagen in die Ausstellung des altehrwürdigen British Museum schmuggelte. Aber nach Banksy sieht die Zeichnung nicht aus.

Was hat es mit dem Portrait des jungen Mannes auf sich?

Meine Kollegin Samah Al Jundi-Pfaff, die den Urheber der Zeichnung im Grenzdurchgangslager kennenlernte, erzählt mir seine Geschichte: Es handelt sich um Abdulkhader, einen jungen Syrer aus Aleppo, der seinen verstorbenen Freund Osama portraitiere. Als das Bild entstand, war Abdulkhader bereits in die Türkei geflohen. Dort versuchte er, sein Gedächtnis wiederzuerlangen. Dabei sollte ihm das Zeichnen helfen. Ein Foto seines Freundes diente als Vorlage. Die Erinnerung war Abdulkhader abhandengekommen, als er in Syrien im Gefängnis war. Dort hatte man ihm zahlreiche Verletzungen zugefügt, von denen noch heute Narben an seinem Körper zeugen. Über diese schlimmen Erfahrungen verlor er sein Gedächtnis.

Doch schon zuvor hatte Abdulkhader eigentlich fast alles im Bombenhagel auf Aleppo verloren: Sein Haus, sein altes Leben, seinen Freund Osama, der die Angriffe leider nicht überlebte.  Genau den, dessen Gesicht er in der Zeichnung festhielt. Durch das Zeichnen wollte Abdulkhader nicht nur sein Gedächtnis zurückbekommen. Er wollte mit dem Portrait auch ein Zeichen setzen: Der Sohn seines Freundes, 7 Jahre alt, sollte wissen, dass Abdulkhader seinen Vater nie vergessen würde. Er will die Erinnerung an ihn wachhalten. Auch nach seinem Tod. Auch dadurch, dass er es kurz in unsere Ausstellung schmuggelte. Er fotografierte das Bild seines Freundes im Museum mit seinem Handy und schickte es dem Jungen. Das Portrait hat er dem Museum überlassen. Wir haben es in unsere Sammlung aufgenommen.

Eva Völker

Di, 30.04.2019 Di, 05.03.2019