Mo, 24.12.2018

Frohe Festtage! Season's Greetings!

Mit diesem wunderbaren Bild von "Elvira" aus Usbekistan, das in einem unserer 'Let's make it'-Workshops entstanden ist, wollen wir uns bei allen Museumsfreund*innen und -besucher*innen für Ihr Interesse bedanken.

Same procedure as last year? Same procedure as every year! Hier unsere Öffnungszeiten in der Weihnachts- und Neujahrszeit:

27.-30.12.2018: 10-18 Uhr

Am 24.-26., 31.12. und am 1.1. ist das Museum geschlossen.

Ab dem 2.1.2019 dann wieder wie üblich.

Fr, 21.12.2018
Was nehmen Menschen mit auf die Flucht?|

Projekt "Materialität und Migration"

Die Boxershorts mit eingenähtem Geheimfach. Der Schlüssel zur Wohnung, die längst von Bomben zerstört wurde. Das verblasste Schwarzweißfoto von der Mutter in jungen Jahren. Welche Rolle spielen solche und andere Dinge, wenn Menschen fliehen müssen? Was nehmen sie mit und warum? Das Ethnologische Institut der Universität Göttingen, das Museum Friedland und das Berliner Ausstellungsbüro „Die Exponauten“ widmen sich in einem neuen Forschungsprojekt der Frage, welche Bedeutung die materielle Dimension bei Flucht und Migration hat.

Im Mittelpunkt der Forschung steht die These, dass die Schutzwürdigkeit von Leben und Menschenwürde untrennbar mit Dingen verbunden ist. Dinge vermitteln zudem Status und Identität, auch sind persönliche Hoffnungen und Emotionen mit ihnen verknüpft. 

Für das Museum Friedland stellt das Projekt eine ganz wichtige Auseinandersetzung mit einer unserer Kernaufgaben dar: der Bewahrung des kulturellen Erbes der Migration. Woraus besteht dieses Erbe eigentlich und was wollen wir mit unserer Museumssammlung erreichen? Welches Profil wird unsere Sammlung als Forschungsinfrastruktur des Museums in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren besitzen, und welche Maßstäbe legen wir heute dafür an? Neben der Arbeit an diesen Fragen freuen wir uns über die stetig wachsende Vernetzung unserer Arbeit mit den Kolleg*innen der Universität Göttingen und sind sicher, dass alle Seiten enorm von den Erfahrungen profitieren werden, die wir im Rahmen dieses Projektes sammeln.

Das Verbundprojekt läuft bis Juli 2021. Es wird über die Förderlinie „Die Sprache der Objekte“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einer Million Euro gefördert.

Dr. Steffen Wiegmann

Mi, 19.12.2018
Carsten Felgentreff berichtet über Zyklon Winston|

Migration in Zeiten des Klimawandels

Die UN-Klimakonferenz in Kattowitz wird sehr unterschiedlich bewertet. Die einen feiern sie, die anderen halten sie für gescheitert. „Wir fahren diesen Planeten gerade an die Wand", warnte der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung während den zum Teil doch zähen Verhandlungen. Sein Fachkollege Carsten Felgentreff von der Universität Osnabrück hat neulich im Museum Friedland die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Migration erläutert.

Was den Schutz der Menschen angeht, die aufgrund des Klimawandels ihre Lebensgrundlagen verlieren und zur Flucht gezwungen sind, ist noch viel zu tun, sagt er. Doch die Politik streite über eine eindeutige Definition des Begriffs „Klimaflüchtling“. Daher tue sie sich auch schwer, Maßnahmen zu deren Unterstützung zu formulieren. Carsten Felgentreff fordert, das Problem als ein humanitäres zu begreifen. "Dann könnte sich die Staatengemeinschaft schnell einig werden", so der Geograph. Er berichtete auch in eindrücklichen Bildern über seine jüngste Forschungsreise nach Viti-Levu, einer kleinen Fidschi-Insel, wo die Menschen noch immer unter den Folgen von Wirbelsturm Winston leiden, der im Februar 2016 in der Region wütete.

Eva Völker

Fr, 14.12.2018
Der Journalist Rolf Zick im Interview|

Zu Besuch bei einem ganz besonderen Zeitzeugen

Auf das Gespräch mit unserem Zeitzeugen Rolf Zick hatten meine Kollegin Ewa Kruppa und ich uns ganz besonders gefreut. Nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft kam er 1948 über Friedland, später berichtete er als Journalist über die Ankunft entlassener Wehrmachtssoldaten im Lager.

Der gebürtige Dransfelder ist ein sehr angenehmer und zuvorkommender Mensch. Trotz seiner 97 Jahre ließ er es sich nicht nehmen, uns am Bahnhof Lehrte abzuholen. Wir würden ihn schon an seiner Schiffermütze und seinem weißen Bart erkennen, meinte er vorab am Telefon. Außerdem fahre er einen roten BMW, der demnächst offiziell zum Oldtimer werde. Auf den ersten Blick wirkte das Auto gar nicht so alt, aber das Kassettengerät in der Konsole war dann doch ein eindeutiges Indiz für ein etwas älteres Baujahr.

Mit seinen 97 Jahren ist Rolf Zick nicht nur unser ältester Zeitzeuge. Er ist auch ein journalistisches Urgestein – 1949 begann er als Lokalreporter im Göttinger Landkreis, ehe er als landespolitischer Korrespondent nach Hannover ging. Dort wurde er Mitglied und später 20 Jahre lang Vorsitzender der 1947 als erste im Nachkriegsdeutschland gegründeten Landespressekonferenz Niedersachsen, die 1949 auch zum Modell für die Bundespressekonferenz wurde. Rolf Zick hat alle bisherigen niedersächsischen Ministerpräsidenten von Hinrich Wilhelm-Kopf bis Stephan Weil persönlich kennengelernt und interviewt.

Es war auch seine journalistische Tätigkeit, die diesmal Anlass für das Zeitzeugengespräch mit Rolf Zick war. Entstanden war die Idee durch ein Gespräch, das wir vor einigen Wochen mit Christian Paul geführt hatten. Dessen Vater, der Fotojournalist Fritz Paul, hatte im Lager Friedland mit Rolf Zick zusammengearbeitet. Von ihm wollten wir wissen, was für ein Mensch Fritz Paul war. Beide verstanden sich offenbar sehr gut, hatten eine ähnliche Vorstellung von ihrer Arbeit. Sie seien an den Menschen im Grenzdurchgangslager interessiert gewesen, sagt Rolf Zick, nicht wie manch ein Vertreter der „Journaille“, die sich auch manchmal im Grenzdurchgangslager zeigte, an prominenten Persönlichkeiten oder deren sensationellen Geschichten.

Was beide miteinander verband, war der persönliche Bezug zum Lager. Fritz Paul, dessen Familie aus Ostpreußen vertrieben worden war, fertigte als junger Fotoassistent nach dem Krieg Reproduktionen von Pässen und Ausweispapieren der Flüchtlinge und Vertriebenen in Friedland an. Innerhalb kurzer Zeit wurde er zum gefragten Bildjournalisten. In der Zeit lernte er den Zeitungsreporter Rolf Zick kennen. Beide berichteten regelmäßig über die ehemaligen deutschen Wehrmachtssoldaten, die in den 1950er Jahren über Friedland aus der Kriegs-gefangenschaft in der Sowjetunion freikamen. Rolf Zick sagt: „Wir konnten uns beide gut in die Heimkehrer hineinversetzen, ich, weil ich selbst mal einer war, Fritz Paul, weil er selbst nur knapp als junger Soldat der Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion entronnen ist.“

Im Gespräch an die entlassenen Soldaten heranzukommen, sei häufig schwierig gewesen, berichtet Rolf Zick. Viele seien durch ihre Erfahrungen im Krieg und in der Gefangenschaft traumatisiert gewesen. Da habe es geholfen, wenn er ihnen sagte, dass er dasselbe Schicksal erlebt habe: Das Ankommen in Friedland, die Bürokratie, die Fragen, was man im Krieg gemacht habe, wie man auch durch gültige Papiere nach langer Zeit in der Gefangenschaft allmählich wieder zum Menschen wurde. Bei den Begegnungen mit den gerade Angekommenen sei es durchaus hilfreich gewesen, wenn seine Frau ihn begleitete. Dann hätten sich die Männer eher geöffnet, berichtet der 97-Jährige.

Als junger Flakoffizier hatte Rolf Zick selbst schwere Traumata erlitten. Erinnerungen an die Zerstörungen, die Trümmer und Toten nach den Luftangriffen auf Hannover und Wien sowie im Erdkampf an der Front lassen ihn noch heute nicht los. Wie durch ein Wunder, wie er selbst sagt, hat er auch die sowjetische Kriegsgefangenschaft als einziger in seiner Brigade überlebt. Da er an medizinischen Experimenten teilnahm, die er glücklicherweise überlebte, wurde er vorzeitig entlassen und kam über Friedland nach Hause.

Erst im Alter sei ihm bewusst geworden, sagt Rolf Zick, wie er selbst diese Traumata an seine Nachkommen weitergegeben habe. Das ist sicherlich auch ein Grund, weshalb er noch heute an Schulen geht, um den Jugendlichen über seine Erfahrungen zu berichten. „Nie wieder Krieg“, ist seine Mahnung an die junge Generation.

Mit seinem Engagement, seinem wachen Geist und seiner ungeheuren Energie hat Rolf Zick uns tief beeindruckt.

Eva Völker

Mo, 03.12.2018
Flüchtlingsschiff "Hai Hong", Foto: Folker Flasse|

Aufnahme der ersten "Boat People" vor 40 Jahren

Vor 40 Jahren beschloss der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, 1000 Boat People aus Vietnam aufzunehmen. Am 3. Dezember 1978 trafen die ersten 163 Bootsflüchtlinge aus Südostasien in Friedland ein. Sie waren an Bord der „Hai Hong“ gewesen, eines mit 2500 Menschen hoffnungslos überfüllten schrottreifen Frachtschiffs, das wochenlang ohne Versorgung im südchinesischen Meer unterwegs war - Malaysia verweigerte die Anlandung.

Aufgrund ihrer Verantwortung als ehemalige kriegsführende Nation leisteten die USA, aber auch Kanada und Frankreich schon seit Mitte der 1970er Jahre Flüchtlingshilfe. Die Bundesrepublik war lange Zeit deutlich verhaltener, bis Albrecht reagierte. Die perfekt organisierte Rettungsaktion wurde medienwirksam begleitet: Der damalige niedersächsische Innenminister Wilfried Hasselmann flog zusammen mit 19 Journalisten nach Asien. Die Berichterstattung blieb in der Vorweihnachtszeit nicht ohne Wirkung: Die deutsche Öffentlichkeit nahm großen Anteil an dem Schicksal der Geretteten und brachte den Vietnames*innen nach ihrer Ankunft in Deutschland viel Sympathie entgegen. Die Welle der Solidarität ging quer durch die Gesellschaft und alle politischen Parteien.

Die Aufnahme der Vietnames*innen bedeutete eine Zäsur in der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik. Erstmals wurden nichteuropäische Flüchtlinge aktiv ins Land geholt. Um den insgesamt knapp 40.000 Menschen aus Südostasien langwierige Asylverfahren zu ersparen, wurden sie als „humanitären Flüchtlinge“ anerkannt, eine Kategorie, die aus diesem Anlass neu geschaffen wurde. Diese Fakten und viele Bilder von der Rettung der Menschen von der „Hai Hong“ über ihre Ankunft am Flughafen Hannover bis zu ihrer Aufnahme in Friedland sind in unserer Dauerausstellung dokumentiert.

Dem 40. Jahrestag widmeten wir im Vorfeld zwei Veranstaltungen: Einen Abend mit den Filmemachern Dieu Hao Do, einem Vertreter der zweiten Generation der Boat People in Deutschland, und Marcel Neudeck, Sohn des Mitbegründers der Rettungsorganisation Cap Anamur Rupert Neudeck. Dabei wurde mit Blick auf die Flüchtlingsboote im Mittelmeer die Aktualität des Themas Seenotrettung deutlich. Dieu Hao Do betonte, wie wichtig es ihm ist, den bislang kaum gehörten Vietnames*innen in Deutschland durch seine filmische Arbeit eine Stimme zu geben. Er möchte wegkommen von Denkschablonen und Stereotypen. Ähnlich lautet der Tenor des Autoren Chi Dung Ngo, der ebenfalls als Bootsflüchtling nach Deutschland kam. Bei der Vorstellung seiner Biografie „Heimat für Fortgeschrittene“ bat er das Publikum: „Vergessen Sie nie, dass hinter jedem Migranten eine ganz persönliche Lebensgeschichte steht.“ 

Eva Völker

Di, 13.11.2018
Unser Kalender ist da!|

The making of...

Im Frühjahr erreicht uns eine Anfrage der Kalender-Manufaktur, einem Verlag, der auf historische Kalender spezialisiert ist. Claudia Telle fragt, ob wir interessiert seien, in Kooperation mit ihnen, einen Kalender herauszugeben. Über das Angebot freuen wir uns, da wir den Gedanken ohnehin schon seit einiger Zeit mit uns herumtragen. Wir überlegen hin und her, welche Fotos geeignet sind – aussagekräftig sollen sie sein, schön anzusehen, scharf genug für das Format A3 und natürlich müssen die Bildrechte geklärt sein.

Dass wir angesichts unserer großen Sammlung aus dem Vollen schöpfen können, macht die Sache nicht unbedingt leichter. Wir treffen eine Vorauswahl, stellen 13 Bilder zusammen, sprechen im Team miteinander, verwerfen einzelne Ideen wieder, planen neu. Wir einigen uns darauf, dass wir neben historischen Bildern auch Fotos aus unserer aktuellen Museumsarbeit zeigen, etwa aus der Sonderausstellung „So sehe ich das…“, die die Perspektive Geflüchteter auf Friedland zeigt. Oder vom Kreativworkshop „Let’s make it“ unserer Kollegin Samah Al Jundi-Pfaff. Spannend ist, dass wir bei der Zusammenstellung der Fotos viel lernen.

Ein schönes Beispiel ist das Schwarz-weiß-Foto aus dem Jahr 1949, auf dem die Kinobaracke abgebildet ist. Bis 1951 wurden dort Filme vorgeführt, direkt im Lager. Während der Recherchen zu den Fotos führen wir auch Interviews mit Zeitzeugen: Erna und Gerhard Strohschein, die 1955 bzw. 1957 aus dem heutigen Kasachstan über das Grenzdurchgangslager Friedland nach Deutschland kamen. Sie wissen noch genau, dass sie während ihrer Zeit in Friedland Filmvorführungen außerhalb des Lagers besuchten.

Diese Puzzlestücke veranlassen uns dazu, im Gespräch mit alteingesessenen Friedländern wie etwa dem Ortsheimatpfleger Herwig Schröder nähere Einzelheiten in Erfahrung zu bringen. Er erinnert sich noch sehr gut an die Kinoabende in den Räumlichkeiten des heutigen Landgasthauses "Biewald" mit Filmvorführer Fritsche. Später wurde genau dort die legendäre "Django Bar" eingerichtet, wo Boney M., Marianne Rosenberg und Frank Farian auftraten.

Die Arbeit an dem Kalender hat viel Spaß gemacht, so dass wir große Lust haben, auch für 2020 wieder einen zusammenzustellen.

Der Kalender ist ab sofort erhältlich im Foyer, bei Edeka Friedland und Thalia Göttingen.

Preis: 18,- Euro

Eva Völker und Ewa Kruppa

Fr, 02.11.2018
Friedländer Gespräche 2018|

Help!? Ehrenamt in der Flüchtlingsarbeit

Der diesjährigen Friedländer Gespräche lag auf dem freiwilligen Engagement in der Arbeit mit Geflüchteten, den Potenzialen, Motivationen, politischen und gesellschaftlichen Wirkungen. Die Tagung zeichnete insbesondere durch die Verbindung von Forschung und Praxis aus. Von den interessanten Gesprächen und dem Meinungsaustausch profitierten sowohl die Tagungsteilnehmer*innen als auch die Referent*innen, und es wurde deutlich, dass die bislang durchgeführten Studien nur erste Anhaltspunkte für weitergehende Forschungen im Bereich Ehrenamt und Flucht liefern können.

Neben der in den Daten erkennbaren Diskrepanz zwischen vorhandener Hilfsbereitschaft und Willen zum Ehrenamt in der Bevölkerung und der medial und politisch zugespitzten Debatte in der Öffentlichkeit können verschiedene Interpretationen verfangen.

Lebhaften Austausch gab es im Anschluss an Tillmann Bendikowskis Beitrag zum medialen Bild des „naiven“ Helfers. Lagerpastor Harms und der Referent ergänzten sich in ihren Bemerkungen zum christlichen Bild des Samariters, und die Diskussion wurde durch zahlreiche Wortmeldungen aus dem Teilnehmerfeld erweitert. Andrea Wegler aus Berlin sprach über die Rahmenbedingungen, die ein erfolgreiches Engagement für Geflüchtete erst möglich machen und konnte zahlreiche Beispiele aus der Praxis erläutern. Für ihr Stück ‚Die Asyldialoge‘ verwandelte das Theaterensemble ‚Bühne für Menschrechte‘ am Abend des ersten Konferenztages den Speisesaal des Grenzdurchgangslagers in eine Bühne. Die Schauspieler*innen sorgten für ein prägnantes künstlerisches Element und Diskussionsstoff im Rahmen einer vielschichtigen Tagung.

Steffen Wiegmann

Mi, 24.10.2018
Steffen Mensching beim Signieren|

"Schermanns Augen"

„Ein erstaunliches erzählerisches Bergwerk, ein modernes Epos" schreibt die Süddeutsche Zeitung über den Roman „Schermanns Augen“ von Steffen Mensching, den das Museum Friedland im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes neulich dem Publikum präsentierte. Die beiden Protagonisten - ein berühmter Graphologe aus Wien und ein junger Kommunist aus Berlin – verschlägt es 1940 in ein sowjetisches Straflager. Eben noch war Rafael Schermann, den es wirklich gegeben hat, prominenter Gast in der Wiener-Kaffeehausszene, bekannt mit Größen wie Alfred Döblin, Oskar Kokoschka, Else Lasker.

Und jetzt findet er sich am anderen Ende der Welt im sowjetischen Lager Artek wieder und kämpft unter brutalsten Bedingungen ums Überleben. Eva Völker hat sich vor der Lesung mit Steffen Mensching unterhalten, der nicht nur Buchautor ist, sondern auch Intendant am Thüringer Landestheater Rudolstadt:

Eva Völker: Hinter ihrem Buch, das von realen Personen wie dem Graphologen Rafael Schermann aber auch fiktiven Figuren handelt, steckt eine enorme Recherchearbeit. Gut zehn Jahre haben sie an dem Roman geschrieben. Was hat Sie über einen so langen Zeitraum motiviert?
Steffen Mensching: Da spielte eine sehr gute Freundin von mir eine Rolle, Lily Hall 1919 in Wien geboren, die habe ich vor 20 Jahren in New York kennengelernt, da war sie schon über 80. Irgendwann erzählte ich ihr, dass ich zu diesem Raphael Schermann recherchiere. Da platzte es aus ihr heraus, dass dieser Graphologe ihre eigene Kinderhandschrift 1925/26 in Wien analysiert hat, weil ihre Mutter, unsicher, was sie für ein Kind auf die Welt gebracht hat, sich an den Graphologen gewandt hatte in der Hoffnung, dass der ihr erzählen könne, was aus dem Kind vielleicht werden könnte. Eine solche persönliche Brücke ist für so einen historischen Stoff ja nicht unbedingt abträglich. Dass man also nicht nur forscht, sondern, dass man auch eine persönliche Beziehung hat, das war mir ganz wichtig. Lilly verdanke ich, dass ich den Roman zu Ende geschrieben habe, ihr ist er auch gewidmet.

EV: Mehr als zehn Jahre haben Sie an dem Roman recherchiert. Hat das etwas von Detektivarbeit?
SM: Tatsächlich ist es eine Mischung aus kriminologischer und archäologischer Arbeit. Eine interessante Episode war, dass ich relativ früh durch Schriften, die Schermann hinterlassen hat, erfuhr, dass er 1923 nach Amerika fährt. Ich kannte das Datum, wann er in New York angekommen war. Über die Ellis-Island-Akten, habe ich rausgekriegt, mit welchem Dampfer er gefahren war. Da gab es auch die Passagierlisten, die habe ich mir auch angeschaut, auch die der zweiten Klasse, Schermann reiste natürlich First Class. Da tauchte das Moskauer Künstlertheater auf unter Leitung von einem gewissen Alexejew, das ist der bürgerliche Name für Stanislawski, darunter ist er als Regisseur berühmt geworden. Das war so ein Fall einer Recherche, die für den Roman wichtig wurde, weil sie eine ganz andere Episode reingebracht hat. Nämlich die Kenntnis dieser russischen Theaterkünstler, die im sowjetischen Alltag in den 30er Jahre eine wichtige Rolle spielten.

EV: Sie selbst machen ja ebenfalls seit vielen Jahren Theater. Inwieweit beeinflusst die Theaterarbeit die Art und Weise, wie Sie schreiben?
SM: Wenn man vom Theater kommt, ist die Sprache in erster Linie gestisch, d. h. man hat eher eine Affinität zum Dialog, zum Gesprochenen. Die innere Psychologie der Figuren ist vielleicht nicht so relevant bei anderen Autoren, sondern man versucht eher durch die Art und Weise, wie gesprochen wird, was gesagt wird, die Person zu charakterisieren. Dadurch hat dieser Roman vielleicht auch eine recht hohe Geschwindigkeit im Wechsel der Szenen. Auch in der Art und Weise, wie bestimmte Figuren sprechen. Das war mir ganz wichtig, dass der junge Kommunist aus Deutschland eine andere Art zu reden hat als der Graphologe, der ein bürgerliches Leben geführt hat, als die politischen Häftlinge, die Kommandanten, die kriminellen Verbrecher, die sich sehr roh ausdrücken. D. h. diese Ausdrucksmöglichkeiten kommen sehr vom Theater.

EV: Was ist es, was Sie speziell an der Person Rafael Schermanns, des hellseherischen Graphologen, fasziniert?
SM: Ich bin eher materialistisch überzeugt - mit einem Wunderglauben, einem Glauben an hellseherische Fähigkeiten kann ich nichts anfangen. Aber es gibt eine Art von Beobachtungsgabe, also phänomenologische Sehweisen, dass man überhaupt Dinge noch bemerkt, wie jemand läuft, wie sich die Leute bewegen, wie sie sich geben, dass man aus diesen Beobachtungen Rückschlüsse zieht. Das war ja das eigentliche Potenzial, was dieser Schermann hatte. Er konnte nicht in die Zukunft sehen, das kann meiner Meinung nach niemand. Aber er konnte aus der Schrift bestimmte Charaktereigenschaften ablesen. Und er konnte auch aus den Reaktionen der Menschen, wenn er über diese Schriften gesprochen hat, genau ablesen, ob er da auf der richtigen Fährte war, oder ob er in die Irre lief. Und diese Kunst, andere Menschen zu beobachten, zu registrieren, wie der andere ist, das hat ja auch mit Empathie zu tun, dass man sich überhaupt auf jemand anderen einlässt, dass man ihn anguckt. Das sind heutzutage Dinge, die verkümmern, weil die Leute so mit sich selbst beschäftigt sind, weil sie die Außenwahrnehmung nicht mehr haben. Sie hören nicht, weil sie die Kopfhörer auf den Ohren haben, sie sehen nicht, weil sie mit irgendwelchen Bildschirmen beschäftigt sind. Und das sind nur äußere Ausdrücke einer inneren Befindlichkeit des Individuums im 21. Jahrhundert. Insofern ist dieses Buch, was solche Fähigkeiten beschreibt, vielleicht der Versuch, bestimmte Sensibilitäten sich in Erinnerung zu rufen und zu bewahren. Das sind wichtige Fähigkeiten des Menschen, die verkümmern, weil man anderen Möglichkeiten nachläuft.

EV: Das ist ein Grund, weshalb der 820 Seiten-Roman, den man nicht blitzschnell so nebenbei konsumieren kann, durchaus aktuell ist. Außerdem ist das Buch auch in politischer Hinsicht aktuell...
SM: Die Situation, in der sich beide Häftlinge, Rafael Schermann und Otto Haferkorn, treffen, spielt im Jahr 1940 bis in den Sommer 1941. Über all dem hängt der Schatten des Jahres 1939, ein extremes Jahr mit vielen Turbulenzen, die in kürzester Zeit in Europa stattgefunden haben. Der Anschluss Sudetendeutschlands, die Besetzung Wiens, der Angriff auf Polen, verschiedene Nichtangriffspakte, der Versuch, dieses europäische Gleichgewicht zu bewahren, gleichzeitig das Anschwellen von Nationalismen in allen europäischen Staaten. All das erinnert uns an die jetzige Zeit. Die Glückssträhne nach dem Krieg, die glückliche Situation eines geeinten und friedlichen Europas, diese wunderbaren Entwicklungen werden derzeit alle wieder in Frage gestellt durch nationalistische und z. T. völkische Tendenzen.

Schermanns Augen, Wallstein Verlag, Göttingen 2018, 820 Seiten, € 28,00

Fr, 05.10.2018
Erna und Gerd Strohschein nach dem Interview|

Zwei ehemalige Zivilverschleppte erzählen

Spannend, auf welchen Wegen manchmal Kontakte zu Zeitzeug*innen zustande kommen. Zuletzt war es eine Begegnung auf der Tourismusmesse ITB im Frühjahr in Berlin. Meine Kollegin Edith Kowalski betreute dort unseren Museumsstand, als eine junge Frau sie ansprach: Stefanie Wolter, Historikerin mit dem Schwerpunkt Flucht, Vertreibung, Vertriebenenintegration in der Bundesrepublik.

Die beiden kamen schnell ins Gespräch: Ein Motiv für Stefanie Wolters historisches Interesse liegt in ihrer eigenen Familiengeschichte: Ihre Großeltern waren beide in den 1950er Jahren aus der UdSSR über Friedland in die Bundesrepublik eingereist, ihr Großvater 1955 und ihre Großmutter mit ihrer Familie 1957. Beide lebten als Zivilverschleppte ab 1945 in einem Arbeitslager in Karaganda, im heutigen Kasachstan, und durften erst nach Adenauers Moskaureise 1955 ausreisen. 

Eine wertvolle Geschichte für uns, da wir bislang nicht viele Biografien Zivilverschleppter in unserer Sammlung haben. Umso mehr freuten wir uns, als Stefanie Wolters Großeltern Erna und Gerhard Strohschein einem Zeitzeugeninterview zustimmten. Neulich war es dann so weit:

Meine Kollegin Ewa Kruppa und ich besuchten die Strohscheins im Haus ihrer Tochter, auch ihre Enkelin Stefanie Wolter war gekommen. Erna und Gerhard Strohschein saßen nebeneinander auf der Couch, bereit fürs Interview. Das Gespräch kam schnell in Gang: Erna Strohschein, geborene Tschritter, 1937 in Bessarabien geboren, wurde mit ihrer Familie 1941 von den Nazis in Westpreußen angesiedelt. Kurz vor Kriegsende flohen sie vor der heranrückenden sowjetischen Armee Richtung Westen, wurden jedoch von sowjetischen Truppen aufgegriffen und ins 4500 Kilometer östlich gelegene Karaganda verschleppt.

Ein ähnliches Schicksal ereilte Gerhard Strohschein. Er wurde 1936 in Wolhynien in der heutigen Ukraine geboren. Auch er wurde von den Nationalsozialisten mit seiner Familie umgesiedelt - in den damaligen Warthegau. Als seine Familie im März 1945 nach Westen fliehen wollte, wurden sie ebenfalls von der sowjetischen Front überrollt, festgenommen und nach Karaganda gebracht.

In dem Lager, das zum sowjetischen Gulag gehörte, lernten die Mütter der beiden einander kennen, da sie in einer Mühle arbeiteten. In Karaganda hätten sie zwar nur das Nötigste gehabt zum Leben, der einzige Besitz war ein Fahrrad, doch sei es durchaus erträglich gewesen. Mit den übrigen Bewohner*innen, die aus Asien und anderen Regionen nach Karaganda verschleppt worden waren, hätten sie friedlich zusammengelebt. Gerhard und Erna gingen zur Schule, ihre Familien mussten sich regelmäßig auf der Kommandantur melden. Engeren Kontakt hatten Erna und Gerhard zu dieser Zeit jedoch nicht zueinander.

1955 bekam Gerhard Strohschein die Genehmigung, in die DDR ausreisen zu dürfen. Es gab eine Tante in Eisenach, die ihm jedoch riet, weiterzufahren in den Westen. „Wir waren einfach hartnäckig und sagten den DDR-Behörden, wir wollten auf keinen Fall bleiben, sondern weiter nach Westdeutschland“, erzählt Gerhard Strohschein. Was West- und Ostdeutschland im einzelnen bedeutete, davon hatte der junge Mann keine Ahnung, verließ sich einfach auf den Rat der Tante. Heute staunt er, dass die Rechnung aufging: Gerhard Strohschein durfte weiterreisen, kam an Heiligabend 1955 in Friedland an.

Nach seiner Ankunft machte er einen Luftsprung, erinnert sich der heute 82-Jährige. „Es war einfach das Gefühl von Freiheit, plötzlich irgendwohin gehen zu können, ohne sich abmelden zu müssen“. Ähnliches erzählt Erna Strohschein, die 1957 Friedland erreichte: „Wir wurden gut aufgenommen damals, in der Kleiderkammer erhielten wir neue Sachen“. Darunter war ein ausgestellter gestreifter Mantel, der Erna Strohschein noch in lebhafter Erinnerung ist: Im Lager war sie stolz auf das Stück, weil sie so etwas nie zuvor gesehen hatte. Doch als sie Friedland verließ, um mit dem Zug zu ihrem Onkel nach Buchholz bei Hamburg zu fahren, kamen ihr angesichts der Blicke ihrer Mitreisenden erste Zweifel. Vor allem im Nachhinein schämte sie sich, da der Mantel doch sehr auffällig war. Überhaupt sei sie in der Anfangszeit ständig bemüht gewesen, nichts falsch zu machen. An das neue Leben musste sie sich erst einmal gewöhnen.

Fr, 05.10.2018

Ende der 1950er Jahre nahm Gerhard Strohschein Kontakt zu Erna auf. Bald wurden sie ein Paar, heirateten 1960 und bekamen zwei Kinder. Er fand Arbeit als Galvaniseur bei einem Autokonzern, sie als Bandarbeiterin bei einem Reifenhersteller. Sie bauten zwei Häuser, fanden sich gut in ihrem neuen Leben ein.

Gerhard Strohschein bedauert lediglich, dass er nur vier Jahre hatte zur Schule gehen dürfen. Statt in der Fabrik zu arbeiten, hätte er gerne einen naturwissenschaftlichen Beruf erlernt.
Doch Gerhard und Erna wirken sehr zufrieden, wie sie so nebeneinander auf der Couch sitzen. Mit Blick auf die Menschen, die heute über Friedland kommen, sagen sie, die hätten es viel schwerer heute als sie damals.

Eva Völker

Do, 13.09.2018
Objekt mit Geschichte|

Migration sammeln

In unserer Dauerausstellung "Fluchtpunkt Friedland" wird die Geschichte des Grenzdurchgangslagers von 1945 bis heute ausgestellt. Über vier Millionen Menschen haben das Lager passiert. Dabei haben sie Spuren hinterlassen, die in Form von Objekten, Interviews, Fotos, Briefen und Dokumenten ihre persönlichen Geschichten anschaulich erzählen. Die Sammlung zum Thema Migrationsgeschichte zeichnet sich durch eine Vielfalt an Materialien aus, darunter Papier, Holz, Keramik, Textil sowie analoge und digitale Datenträger.

Gebrauchsspuren, Beschädigungen und Altersspuren machen die Objekte zu unverwechselbaren Zeugnissen der Vergangenheit. Ein schönes Beispiel ist der Koffer von Rosemarie M., die 1957/ 88 aus Polen nach Friedland kam.  Bei der Weiterreise ging er verloren, konnte ihr aber nachgesandt werden. Für Rosemarie M. ist der Koffer ein wichtiges Zeugnis ihrer Ausreise.

Mein Ziel als Restauratorin ist es, die Geschichten hinter den Objekten lesbar zu belassen und gleichzeitig Bedingungen für deren Erhalt zu schaffen. Mit Hilfe der präventiven Konservierung schaffen wir ein schützendes Umfeld, um die Sammlung dauerhaft zu erhalten und zu sichern.

Mehr zu dieser spannenden Arbeit erzähle ich demnächst in einem Vortrag, den ich am Europäischen Tag der Restaurierung, am 14. Oktober 2018, in der Ethnologischen Sammlung in Göttingen halten werden 

Ewa Kruppa, Diplom-Restauratorin

Weitere Infos zur Veranstaltung finden Sie in unserer Programmübersicht.

Fr, 31.08.2018
Die Siegerentwürfe sind derzeit im Foyer ausgestellt|

Große Pläne in DIN A0

Aufregende Tage liegen hinter uns. Vor einer Woche tagte das Preisgericht, um die besten Entwürfe für das neue Besucher-, Medien- und Dokumentationszentrum zu küren. Das 80 mal 12 Meter große Gebäude soll die Dauerausstellung im alten Bahnhof mit einer zusätzlichen Ausstellungsfläche, einer Bibliothek, Seminarräumen, einem Depot und einem Café ergänzen. Die drei besten Entwürfe sind bis 16. September 2018 im Foyer ausgestellt.

Jetzt aber erstmal der Reihe nach: Das Preisgericht kam unter dem Vorsitz eines renommierten Branchenvertreters, des Präsidenten des Bundes Deutscher Architekten Heiner Farwick, im Hotel Freizeit In bei Göttingen zusammen. Nach anderthalb Tagen intensiver Beratungen stieg weißer Rauch über dem Hotelgebäude auf:

Die Arbeitsgemeinschaft dichter Architekturgesellschaft, bbz landschaftsarchitekten berlin und Fischer Ausstellungsgestaltung, alles aus Berlin, konnten den ersten Preis für sich entschieden. „Sie hat es in hervorragender Weise geschafft, die Anforderungen der Museumsgestaltung mit der einer unverwechselbaren Architektur und einer qualitätsvollen Außenraumgestaltung zu vereinen“, begründet Heiner Farwick die Entscheidung des Preisgerichts. Der Entwurf, der gleichzeitig prägnant und zurückhaltend sei, besteche durch seine Einfachheit. Die prämierte Arbeit sei eine hervorragende Grundlage für die Realisierung eines Museums mit bundesweiter Bedeutung.

„Die Wahl unter den insgesamt 27 eingereichten Arbeiten war nicht gerade leicht“, sagt der Architekt Dieter Schmitz, der den Wettbewerb betreute. Die Qualität der Entwürfe sei insgesamt sehr hoch gewesen. Dass so viele am Wettbewerb teilgenommen hätten, sei erstaunlich. Schließlich hätten die Bewerber eine beträchtliche Hürde überwinden müssen: Die Gebäude-, Landschafts- und Museumsgestaltung waren nämlich zusammen ausgeschrieben. Die Architekturbüros mussten sich also zu Arbeitsgemeinschaften mit Landschafts- und Museumsgestaltern zusammenschließen - ein eher ungewöhnliches Verfahren, das jedoch viele Vorteile bietet: Unter anderem die Notwendigkeit, dass wichtige Abstimmungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Prozess erfolgen.

Doch auch die beiden drittplatzierten Entwürfe sind noch im Rennen. Im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens wird Mitte Oktober entschieden, welcher der drei Preisträgerentwürfe letztlich umgesetzt wird.

Wenn Sie sich näher informieren möchten, besuchen Sie unsere kleine Ausstellung im Foyer. Dort sind noch bis 16. September Pläne, Ansichten und Modelle der Preisträger ausgestellt. Wer mag, kann vor Ort gerne Kommentare und Anregungen abgeben.

Eva Völker

Do, 09.08.2018

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann zu Gast

Im Rahmen seiner diesjährigen Sommerreise machte der Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann MdB Station im Museum Friedland. Herr Oppermann, der sich bereits in der Vergangenheit für die Realisierung des Museumsprojekts eingesetzt hat, informierte sich im Rahmen einer Führung über das museumspädagogische Konzept und unsere Bildungsarbeit.

„Vor dem Hintergrund der aktuellen Integrationsdebatte ist es entscheidend“, so der Bundestagsvizepräsident, „aus der siebzigjährigen Geschichte der Zuwanderung über das Grenzdurchgangslager Friedland die aktuellen Herausforderungen im Bereich Zuwanderung und Integration besser zu verstehen. Dazu bietet das Museum Friedland mit seiner Ausstellung und mit seinem pädagogischen Vermittlungskonzept insbesondere für die junge Generation beste Voraussetzungen.“

Im Anschluss an die Führung durch unsere Dauerausstellung informierte sich Thomas Oppermann über den Planungsstand für den zweiten Bauabschnitt.

Frank Frühling

Do, 19.07.2018
Christian Paul und Archivarin Ewa Kruppa|

Das Erbe des Fotografen Fritz Paul

Fritz Paul ist der Fotograf, der das Grenzdurchgangslager Friedland und die dort Ankommenden wie kein anderer Vertreter seines Metiers im Bild festgehalten hat. Von den späten 40ern bis in die 70er Jahre lichtete er regelmäßig Menschen, Gebäude und festliche Anlässe im Lager ab. Kein Wunder, dass in unserer Dauerausstellung 32 Werke von ihm gezeigt werden. Fritz Pauls einziger Sohn Christian hat diese und viele andere, die unsere Sammlung bereichern, dem Museum zur Verfügung gestellt – wie auch mehrere wertvolle Kameras, mit denen die Aufnahmen gemacht wurden.

Wir freuen uns, dass Dr. Christian Paul unserer Arbeit so verbunden ist.

Der 70-jährige ehemalige Agrarforscher befasst sich noch immer intensiv mit dem fotografischen Werk, das Fritz Paul hinterlassen hat. „Auch lange nach seinem Tod sorgt mein Vater dafür, dass ich noch ganz schön beschäftigt bin“, sagt der aufgeschlossene Mann mit einem verschmitzten Lächeln. Mit ähnlicher Leidenschaft, die Fritz Paul als Fotograf an den Tag legte, widmet sich Christian Paul nun der Aufbereitung der Tausenden von Bildern, die sein Vater schoss. „Fritz Paul war buchstäblich ein rasender Reporter, ich habe das Bild noch gut vor Augen, er im wehenden Mantel, dem er ständig vorauszueilen schien, die Kamera im Anschlag. Da blieb keine Zeit, ein Archiv zu führen“, erzählt Christian Paul. Die ganze Wohnung sei ein Fotolabor gewesen, die Negativstreifen hingen in der Küche, überall stapelten sich Filmrollen, Fritz Pauls Frau Gisela war Assistentin und Telefonzentrale zugleich.

Im Gespräch wird deutlich, wie unterschiedlich die Perspektiven waren, mit denen Fritz Paul durch die Linse auf das Grenzdurchgangslager und die Menschen dort blickte. Zum einen sind da ruhige, fast intim anmutende Portraits von Ankommenden, aus deren Blick häufig Erschöpfung, Leere und Sorge sprechen. Bei diesen Bildern scheint der Fotograf den Menschen sehr nahe gekommen zu sein. „Mein Vater, der nach dem Krieg als junger mittelloser Fotoassistent in Göttingen arbeitete, besuchte das Lager immer wieder, weil die Menschen mit ihren Fluchtgeschichten ihn nicht losließen. Seine eigene Familie war aus Ostpreußen vertrieben worden, er selbst entging der sowjetischen Kriegsgefangenschaft durch einen Sprung vom fahrenden Transport, zwei seiner Brüder starben im Zweiten Weltkrieg, das hat ihn und seinen Blick auf die Welt geprägt“, sagt Christian Paul.

Ein Bild, das für viele andere stellvertretend ist, zeigt das gemeinsame Mahl einer Aussiedlerfamilie aus den fünfziger Jahren im Speisesaal: Die Frau trägt Hut, die Kinder sind akkurat gescheitelt, alle sitzen sehr aufrecht – eine Szene, die an die damalige Fernsehwerbung erinnert und bewusst so arrangiert wurde, um Spenden einzuwerben. Oder eine Postkarte mit einer Ansicht vom Lager: blumengeschmückte Baracken, ein Kinderspielplatz, Sitzbänke, die zum Verweilen einladen. Solche Aufnahmen entstanden im Auftrag der Verwaltung, um das Bild einer heilen Welt in der Öffentlichkeit zu vermitteln. In unzähligen Aufnahmen dokumentierte Fritz Paul Gebäude und Denkmäler im Lager, u.a. etwa den Baufortschritt der St. Norbert- Kirche. Auch diese sind von unschätzbarem Wert für die Erforschung der Geschichte des Grenzdurchgangslagers.

„Mein Vater hat sich vermutlich nie als Chronist verstanden, er war getrieben von der Tagesaktualität“, sagt Christian Paul. Vom ungelernten Fotoassistenten, der nach dem Krieg Reproduktionen von Pässen und Ausweispapieren der Flüchtlinge und Vertriebenen anfertigte, arbeitete er sich zum gefragten Bildjournalisten hoch, der regelmäßig die Deutsche Presseagentur belieferte und sich an dem damals sehr profilierten Deutschen Theater in Göttingen auch als Theaterfotograf mit künstlerischem Anspruch und einem guten Gespür für Bildkomposition einen Namen machte.

Auch uns wird das Werk von Fritz Paul, der im nächsten Jahr 100 Jahre alt würde, noch lange beschäftigen. Eine spannende Aufgabe, der wir uns sehr gerne widmen.

Eva Völker

Di, 19.06.2018
Bewegt und bewegend|

World Refugee Day im Grenzdurchgangslager Friedland

Spannend war unser Aktionstag schon, ehe es wirklich losging. Würde der 10 Meter hohe Kran überhaupt auf dem vorgesehenen Platz parken können? Es war Millimeterarbeit, aber es passte genau. Ein Glück!

So konnte Joshua Redlich vom Alpenverein Göttingen das Sicherungsseil in schwindelnder Höhe befestigen, sodass dem Kisten- und Strickleiterklettern nichts mehr im Wege stand. Zunächst traute sich keiner so recht, aber nachdem das erste Kind Mut gefasst hatte und den Anfang machte, standen die anderen Schlange.

Überhaupt spielten Sport und Bewegung am World Refugee Day eine große Rolle, den wir gemeinsam mit dem Bündnis „Niedersachsen packt an“ rund um die Nissenhütte mitten im Grenzdurchgangslager Friedland veranstaltet haben. Der ASC 1864 Göttingen hatte Diabolos mitgebracht, eine Slackline und Pedalos zum Balancieren, beim Leitergolf konnte man sein Handicap verbessern. Damit gab es gleich einen kleinen Vorgeschmack auf unsere Sonderausstellung "Entscheidend ist auf dem Platz" zum Thema Sport und Integration, die wir am 11. August eröffnen.

Ruhiger ging es in der Kunstecke zu: Bei Face Painting, Kalligraphie und der Malaktion „Painting for Peace“ ließen einige Gäste ihrer Kreativität freien Lauf. Wer wollte, konnte auch bienenfreundliche Kräuter wie Minze, Johanniskraut oder Salbei in Kokostöpfchen pflanzen, die „Lichtenborner Kräuter“ gespendet hatte. Die Pflänzchen werden demnächst im Friedlandgarten eingesetzt, der von Bewohner*innen des Grenzdurchgangslagers und Menschen aus der Region gemeinschaftlich betrieben wird.

Den Soundtrack zu alledem lieferte die Band Makatumbe aus Hildesheim mit einem breiten Stilmix von Cumbia und Reggae über Balkan-Beats bis zu Musik aus dem arabischen Raum. Mit ihrer ungewöhnlichen Besetzung -Stimmakrobatik und Gesang, Akkordeon, Klarinette, Schlagzeug und Bass – sorgte die Band schnell dafür, dass der Funke übersprang. Die Musik kam bei den Gästen aus Friedland und Umgebung und den Bewohner*innen des Lagers, in dem zur Zeit Menschen aus 21 Nationen untergebracht sind, gut an.

Die Bandmitglieder hatten auch sichtlich Spaß daran, das Spiel „Reise nach Jerusalem“ musikalisch zu begleiten. Sobald die Musik stoppte, mussten die Teilnehmer*innen schnellstens auf einem der vor der Bühne platzierten bunten Kulturstühle Platz nehmen. Eine ganz schöne Herausforderung, besonders wenn man einen hohen Barhocker oder einen winzigen Kinderstuhl erwischte.

Ganz spontan kam ein junger Sänger auf die Bühne, Farhad aus Syrien, der ein Liebeslied auf Arabisch sang. Über den Köpfen der Besucher*innen schwebten unzählige Seifenblasen – dank Soap Bubble Artist Marco Wittich. Bei Finger Food und kalten Getränken, aber auch in Führungen über das Gelände des Grenzdurchgangslagers kamen Gäste und Bewohner*innen, Einheimische und Weitgereiste miteinander ins Gespräch.

Dass es keine Pause gibt im Betrieb des Lagers wurde auch an diesem Tag deutlich: Eine junge Mutter mit ihren beiden Töchtern sprach uns an. Sie seien Spätaussiedler und gerade erst mit ihrer Familie aus der Gegend von Moskau angekommen. Nach der langen Reise war die Frau sehr erschöpft und wollte einfach nur wissen, wo sie und ihre Familie die Nacht verbringen könnten. Wir haben sie zur Anmeldung im Lager gebracht, die zum Glück sieben Tage die Woche besetzt ist.

Wir haben uns sehr gefreut, dass wir mit unserem Aktionstag nun schon zum dritten Mal im Grenzdurchgangslager zu Gast sein durften. Dafür wollen wir uns ebenso bedanken wie bei unserem Mitveranstalter „Niedersachsen packt an“ und bei allen Netzwerkpartnern, die uns an diesem Tag unterstützt haben – allen voran den zahlreichen Volunteers sowie bei ASC Göttingen 1846, Caritas Friedland, Friedlandgarten, musa Göttingen und ZESS von der Uni Göttingen.

Eva Völker

Mo, 11.06.2018
Aus dem Besucherbuch|

Internationale Besuchergruppen

"My eyes have been opened and my heart touched." Das schrieb ein Besucher aus der Göttinger Partnerstadt Cheltenham nach der Führung durch die Ausstellung in unser Besucherbuch. Zu Gast waren neulich auch offizielle Delegationen der anderen Partnerstädte Pau (Frankreich) und Thorn (Polen). Außerdem hatten wir Vertreter*innen von 10 Partnerkommunen aus Polen, Russland, Tschechien und Deutschland zu Gast, die einst den Namen "Friedland" trugen oder noch tragen.

Bürgermeister Friedrichs sieht in dem jährlichen Friedland-Treffen "einen kleinen Baustein für Europa", durchaus ein wichtiges Zeichen angesichts der aktuellen Spannungen innerhalb der Europäischen Union.

Eva Völker

Di, 08.05.2018
Ein Koffer geht zur Kur|

Eine Kur für unsere Objekte

Vor kurzem haben wir einige unserer Objekte zur Kur geschickt. Darunter befanden sich Holzkoffer und Reisetruhen, die zur Aufbewahrung von persönlichen Gegenständen gedient haben. Die Holzobjekte hatten es nötig, die Diagnose lautete „aktiver Schädlingsbefall“. Holzschädlinge machen sich leider gerne mal über organische Materialien her und hinterlassen Spuren in Gestalt von Fraßgängen und Ausflugslöchern. Dies müssen nicht unbedingt Indizien für einen aktiven Schädlingsbefall sein.

Rieselt dann aber sogenanntes Fraßmehl, eine Mischung aus Kotpillen und pulverisiertem Holz, aus den Ausflugslöchern, ist dies ein ernstzunehmendes Zeichen dafür, dass gerade Schädlinge am Werk sind. Jedoch ist hier genaue Beobachtung gefragt. Herausrieselndes Mehl kann auch allein auf Erschütterungen zurückzuführen sein und kann unter Umständen auf früheren, heute nicht mehr aktiven Befall hinweisen.  
Bei den vom Volksmund als Holzwurm klassifizierten Schädling handelt es sich um Anobium punctatum, den Gewöhnlichen Nagekäfer. Daneben gibt es weitere Arten wie z. B. den Gescheckten Nagekäfer, auch als die „Echte Totenuhr“ bekannt, oder den Braunen Splintholzkäfer. 
Wird nun aktiver Schädlingsbefall bei Sammlungsgut konstatiert, ist schnelles Handeln gefragt, möglichst vor dem Frühjahr. Dann beginnt nämlich die Flugzeit für die Vollinsekten und damit die erneute Eiablage. Hier würde sich der Kreislauf der Zerstörung fortsetzen. Ein Holzschädling durchlebt mehrere Stadien, vom Ei, über Larve und Puppe bis zum Insekt. Den Schaden richten allerdings die gefräßigen Larven an, die sich durch die Holzsubstanz nagen. 
Eine effektive Maßnahme gegen aktiven Schädlingsbefall ist die sogenannte Stickstoffbehandlung. Für uns Menschen ist im Umgang mit den behandelten Objekten ungefährlich. Die Behandlung erfolgt ca. vier Wochen lang in einer gasdichten Kammer. Dabei wird der Luftsauerstoff allmählich reduziert und gegen Stickstoff ausgetauscht. In einer mit Stickstoff angereicherten Atmosphäre ist der Holzschädling in allen Entwicklungsstadien nicht überlebensfähig. 
Jetzt ist es wieder soweit – unsere Objekte können nach erfolgter Stickstoffbehandlung wieder ins Depot integriert werden, ohne dass Gefahr für weitere Sammlungsgegenstände bestünde. Die Kur hat gewirkt.

Ewa Kruppa

Mo, 16.04.2018
Geschichte einer Flucht über die serbisch-ungarische Grenze|

Lesung mit Luise Rist

Die Göttinger Autorin und Theatermacherin Luise Rist hat aus ihrem neuen Roman MORGENLAND gelesen. Darin erzählt sie sehr spannend die Geschichte einer Flucht über die serbisch-ungarische Grenze.
Luise Rist lässt ihre Protagonistin Frida nach Serbien reisen. Dort will die junge Frau aus Deutschland Geflüchtete unterstützen, die an der Grenze zu Ungarn gestrandet sind. Ihnen wird der Weg in die Europäische Union zunehmend erschwert, weil Viktor Orbán die Grenze mit einem Zaun gesichert hat. Auch in Serbien werden die Geflüchteten nicht gerade mit offenen Armen empfangen.

Der Stoff des Buches ist hochaktuell: Denn obwohl die Balkanroute als geschlossen gilt, hängen noch immer 6000 Flüchtlinge in Serbien fest - viele von ihnen in illegalen Lagern ohne Strom, Wasser und jegliche Versorgung. Besonders greifbar wurde das, weil Luise Rist zwei Gäste mitgebracht hatte, Shoeib und Parsa, die denselben Weg aus Afghanistan gemacht haben wie der Protagonist aus MORGENLAND.

Eva Völker

Buch: Morgenland, Luise Rist, cbj, ISBN: 978-3-570-31139, € 8,99

Fr, 06.04.2018
Filmemacher Dieu Hao Do auf Recherche|

"Deutsche Migrationsgeschichten in ihrer Vielfalt zeigen"

Vor knapp 40 Jahren kamen die ersten Boat People aus Vietnam in Friedland an, die von der niedersächsischen Landesregierung in einer beispielhaften Aktion aufgenommen wurden. Diesen Geflüchteten aus Südostasien ist ein Teil unserer Ausstellung gewidmet, für den sich auch der junge deutsch-chinesische Filmemacher Dieu Hao Do interessiert.

Der ambitionierte Nachwuchsregisseur, der bereits mehrfach mit seinen Werken beim Max-Ophüls-Festival vertreten war, gehört der zweiten Generation der Boat People an. Seine Mutter, die zuvor als Angehörige der südchinesischen Minderheit in Saigon/Ho Chi Minh Stadt  gelebt hatte, flüchtete zusammen mit ihrer Tochter und ihren Eltern 1980 von dort nach Deutschland.

Ihr Sohn setzt sich jetzt mit ihrer Vergangenheit und der der Boat People auseinander. Er will ihnen einen Film widmen. Noch steht der 31-Jährige ganz am Anfang seiner Recherchen. „Ich stelle mir viele Fragen“, sagt Dieu Hao Do: "Wie hatten die Menschen in Vietnam gelebt, ehe sie das Land verließen? Wie hat ihre Lebensgeschichte sie geprägt? Welche Auswirkungen hatten der Verlust der Heimat, die Flucht und die Ankunft in Deutschland auf die nachfolgende Generation?"

Der Filmemacher aus Berlin will ein differenziertes Bild der Boat People zeichnen, über die in der Öffentlichkeit noch immer wenig bekannt ist. „Bis heute reden die ehemaligen Boat People nicht über den Krieg in ihrem Land und die Zeit danach“, sagt Dieu Hao Do. „Es ist ein kollektives Trauma, das nach wie vor verdrängt wird“, ergänzt der junge Mann. Er hat die Erfahrung gemacht, dass es die Menschen viel Mut und Überwindung kostet, darüber zu sprechen.

Dieu Hao Do nimmt sich viel Zeit, um sich die Flucht der Menschen an Bord der „Hai Hong“ anzuschauen, die im Museum mit einer ausführlichen Fotostrecke von der Rettung vor der Küste Malaysias über die Landung in Hannover-Langenhagen bis zur Ankunft in Friedland dokumentiert ist. Unter den Bildern sind auch zahlreiche private Aufnahmen einer vietnamesischen Familie, die einige Monate in Friedland lebte. Sie geben einen Eindruck davon, wie die Menschen ihre Ankunft in Deutschland erlebten. Dieu Hao Do wünscht sich, dass deutsche Migrationsgeschichten in ihrer Vielfalt gezeigt und wahrgenommen werden. „Dafür ist das Museum ein wichtiger Ort“, sagt er. Auch mit seinem geplanten Film über die Boat People aus Vietnam will er dazu beitragen.

Eva Völker

Do, 15.03.2018
Image of engineering objects on workplace top view.Construction concept. Engineering tools.Vintage tone retro filter effect,soft focus(selective focus)
Image created by Mindandi - Freepik.com|

Wettbewerb für unseren Erweiterungsbau gestartet!

Der europaweite Realisierungswettbewerb für den Erweiterungsbau des Museums Friedland ist offiziell eröffnet. Geplant ist der Bau eines Besucher-, Medien- und Dokumentationszentrums. Eingebettet in eine landschaftsgärtnerisch gestaltete Anlage wird der Neubau zwischen dem historischen Bahnhof und dem Grenzdurchgangslager Friedland entstehen. Das neue Gebäude wird über Ausstellungsflächen von ca. 800 qm sowie Seminar-, Bibliotheks-, Depot- und Büroräume, ein Café und einen kleinen Museumsshop verfügen.

Es soll zur Begegnungsstätte werden, die eine Brücke zwischen dem Museum und dem Grenzdurchgangslager bildet. Die Baukosten in Höhe von rund 13 Millionen Euro werden vom Bund und vom Land Niedersachsen getragen.

Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, in dessen Haus das Museum Friedland koordiniert wird, blickt dem geplanten Ausbau des Museums optimistisch entgegen: „Ich hoffe natürlich auf eine rege Beteiligung von Planungsbüros. Das anspruchsvolle Niveau der Dauerausstellung im historischen Bahnhof ist Anreiz und Herausforderung zugleich. Ich gehe deshalb fest davon aus, dass der geplante Neubau das Interesse zahlreicher qualifizierter Bewerberinnen und Bewerber weckt“, so der Innenminister. 

Die im März 2016 eröffnete Dauerausstellung „Fluchtpunkt Friedland“ präsentiert aus verschiedenen Blickwinkeln die Geschichte des Grenzdurchgangslagers von 1945 bis heute. Mit modernen Medien und bewegenden Geschichten erzählt sie von der Arbeit und Bedeutung des Lagers im Wandel der Zeit, das bisher mehr als 4 Millionen Menschen passiert haben. „Im Museum Friedland treffen Geschichte und Gegenwart sowie Lokales und Globales aufeinander – der ideale Ort, sich mit den aktuellen Herausforderungen von Flucht, Migration und Integration zu beschäftigen“, so Museumsleiter Dr. Frank Frühling.

Minister Pistorius sagt: „Das Museum Friedland ist schon jetzt ein großer Erfolg, auf den wir aufbauen wollen. Die Verknüpfung des Betriebs einer Aufnahmeeinrichtung und eines Museums, das die Geschichte des Grenzdurchgangslagers Friedland darstellt, ist bundesweit einmalig. Dadurch gelingt es nicht nur, zahlreiche Besucherinnen und Besucher mit der Ausstellung und den gezeigten Exponaten zu begeistern, sondern darüber hinaus die Themen Migration und Integration ein Stück weit erlebbar zu machen. Die Erweiterung der Dauerausstellung durch ein modernes Besucher-, Medien und Dokumentationszentrum ist ein weiterer wichtiger Schritt, um das gegenseitige Verständnis sowie die Akzeptanz des vermeintlich Fremden in unserer Gesellschaft zu stärken.“

Der Kurator der bestehenden Dauerausstellung Dr. Joachim Baur, Berlin, wird auch den Erweiterungsbau kuratieren. „Vielfältige Perspektiven auf die Themen Migration und Integration werden in die Darstellung des neuen Hauses integriert. Ausgangspunkt der Betrachtung wird dabei stets die Gegenwart sein“, so Baur.

Eva Völker

Di, 13.03.2018
Interessante Einblicke ins Sammeln und Archivieren|

Tag der Archive

Eine kleine, aber feine Veranstaltung, war unser Tag der Archive, der unter dem Motto „Migration sammeln und archivieren“ stand. Knapp 20 Besucher*innen konnten zunächst in einer speziellen Führung mit Rebecca Nielen Einblicke gewinnen, wie wir sammeln und archivieren. Zunächst zeigte sie, welche wichtige Quelle die Lagerchronik für unser Archiv und unsere Sammlung darstellt. Sie enthält viele Fotos aus dem Leben des Grenzdurchgangslagers, die von unschätzbarem Wert sind. Die Besucher*innen konnten sich anhand der digitalen Version der Chronik in der Ausstellung selbst davon überzeugen.

Mit der Kartei des DRK-Suchdienstes hat die Dauerausstellung ein weiteres Archiv zum Thema. Es entwickelte sich aus selbstgebastelten Suchschildern und -plakaten über Fotobände bis hin zur heutigen modernen Datenbank. 

Aus dem Werk von Herrmann Günther

In einer spannenden Präsentation erläuterte Ewa Kruppa, verantwortlich bei uns für Archiv und Sammlung, die Kriterien, nach denen das Museum Friedland seine Sammlung aufbaut. Es geht um Objekte, Dokumente und Fotografien, die mit der Geschichte des Grenzdurchgangslagers verbunden sind, häufig um persönliche Gegenstände von Menschen, die das Lager passiert haben. Wie viele der Dinge im „Raum der Sieben Sachen“ in unserer Dauerausstellung stammen sie vom Herkunftsort unserer Zeitzeug*innen, manche sind aber auch auf der Flucht oder in Kriegsgefangenschaft entstanden. Andere dagegen wurden erst nach dem Aufenthalt in Friedland geschaffen wie etwa die Malereien von Herrmann Günther aus Jühnde. An ihnen machte Ewa Kruppa deutlich, dass das Sammeln ein stetiger Prozess ist.

Aus der Sammlung Walter Wydarty

Die acht Großformate zeigen in eindrücklichen Szenen den Alltag eines deutschen Soldaten im sowjetischen Kriegsgefangenlager Uljanowsk. Auf einem Bild ist ein Häftling zu sehen, der gerade untersucht wird. Die Komposition der Szene hat eine frappierende Ähnlichkeit mit einem anderen Objekt aus unserer Sammlung: einer Zeichnung aus der Sammlung Wydarty. Walter Wydarty war ebenfalls in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, allerdings ist nicht bekannt, in welchem Lager. Mit der Malerei von Herrmann Günther und der Zeichnung aus der Sammlung Wydarty hat Ewa Kruppa zwei Puzzleteile identifiziert, die zueinander passen könnten. Ob das tatsächlich so ist, d. h. ob Wydarty ebenfalls in Uljanowsk interniert war, die beiden möglicherweise einander gekannt haben oder die Zeichnungen sogar aus der Hand von Herrmann Günther stammen, wird sie in weiteren Recherchen herauszufinden versuchen. Dass Sammeln im Museum so spannend sein kann, hätte ich, ehrlich gesagt, nicht gedacht.

Eva Völker

Mi, 07.03.2018
Der Historiker und Buchautor Philipp Ther|

Philipp Ther liest aus "Die Außenseiter"

Es dürfte Philipp Thers erste Lesung in einem Grenzdurchgangslager gewesen sein. „Ein passender Ort“, meint Ther, der in seinem Buch „Die Außenseiter“ ein Bild von Europa als einem Kontinent der Flüchtlinge zeichnet. Aus der Vogelperspektive zeigt Ther, der an der Universität Wien Geschichte lehrt, die historischen Hintergründe der Fluchtbewegungen in Europa – angefangen von Glaubensflüchtlingen, über Menschen, die vor Nationalismus und dem Nationalsozialismus fliehen mussten bis hin zu politischen Flüchtlingen. Dazwischen klug eingestreut sind Nahaufnahmen von einzelnen Flüchtlingen oder Flüchtlingsfamilien aus den verschiedenen Epochen.

Es sind bekannte Persönlichkeiten wie Manès Sperber oder Hannah Arendt, aber auch völlig Unbekannte wie zum Beispiel der spanische Bürgerkriegsflüchtling Manuel Alarcón Navarro, der Anfang 1938 in Frankreich Zuflucht suchte. Dort durfte er jedoch nicht bleiben, ging ein Jahr später wieder zurück nach Spanien, wo er schon bald in einem Konzentrationslager der Franco-Diktatur starb. Ther verfolgt mit diesen Portraits eine bestimmte Absicht: „Das sind Einzelbeispiele, die aber jeweils nicht nur etwas über das Individuum sagen, sondern auch darüber hinaus. Wo man mehr erfährt, also beispielsweise über den Prozess der Flucht, das Technische, die Fluchtwege und die großen Massen, das steckt auch alles mit drin. Aber man sollte auch den einzelnen Flüchtling betrachten. Das erscheint mir gerade heute sehr wichtig. Da reden wir doch auch immer von ‚den Flüchtlingen‘.“

Dabei interessiert Philipp Ther immer auch die Frage, wie Flüchtlinge aufgenommen wurden. Günstig waren in seinen Augen etwa Fördermaßnahmen, wie die, von denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertriebenen profitierten. Der Historiker erläutert: „Da gab es den Lastenausgleich, u. a. Studienstipendien, Gründerkredite, dann gab es Entschädigungsleistungen, immerhin konnten Vertriebene, die in der alten Heimat einen bereits einen Betrieb hatten, in Westdeutschland wieder einen neuen gründen. Und etliche haben das auch gemacht. Es gibt auch quasi Vertriebenenstädte, Neugablonz bei Kaufbeuren wäre ein Beispiel. Und die, die da angekommen sind, haben die Kredite benutzt, um ein neues Leben zu begründen.“ All das habe letztlich doch sehr gut funktioniert, von den Investitionen habe auch die aufnehmende Gesellschaft profitiert.

Auf die Frage, wie Historiker*innen in einigen Jahrzehnten auf die Flüchtlingskrise 2015 blicken werden, entgegnete Ther, weder die Tatsache, dass Menschen vor einem Bürgerkrieg flüchteten, noch die Zahlen der Flüchtlinge seien außergewöhnlich. Allerdings sei schon überraschend gewesen, dass sich so viele Syrer*innen aus den türkischen Flüchtlingslagern nach Deutschland auf den weiten Weg gemacht hätten. Als Erklärung für die hohe Aufnahmebereitschaft im Jahr 2015 nannte Ther die damals schon günstigen Bedingungen am deutschen Arbeitsmarkt. Allerdings sei die Einstiegshürde heute deutlich höher als früher aufgrund der zunehmenden Technisierung und Digitalisierung. Dadurch gebe es deutlich weniger Stellen für Geringqualifizierte, was den Zugang zu Jobs erschwert.

Ein weiteres Hindernis sieht Ther im Bereich der modernen Medien – seit dem Aufkommen des Satellitenfernsehens und erst recht durch Social Media würden die Berührungspunkte mit der Sprache des aufnehmenden Landes minimiert. Unter dem Strich seien die Bedingungen für eine gelingende Integration heute aber so günstig wie nie. So lautet dann auch der Tenor von Philipp Thers Buch „Die Außenseiter“: Integration kann funktionieren: Die Aufnahmegesellschaft muss allerdings auch investieren, sowohl Zeit, als auch Geld. Am Ende haben beide Seiten etwas davon.

Eva Völker

Mo, 26.02.2018
Vertreter*innen von UNHCR, NGOs und Regierungen zu Besuch|

Hochkarätige Resettlement-Tagung in Friedland

Die dreitägige Konferenz rund um das Thema Resettlement hatte ihren Auftakt im Grenzdurchgangslager Friedland. Die etwa 70 Teilnehmer*innen aus vielen verschiedenen Ländern haben alle in der ein oder anderen Form mit Resettlement zu tun, dem Neuansiedlungsprogramm des Flüchtlingshilfswerks UNHCR - ob im Namen aufnehmender Staaten, des UNHCR oder als Vertreter*innen von NGOs. Ziel dieser jährlich stattfindenden „Tripartite Consultations on Resettlement“ ist es, die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, dem UNHCR und den NGOs zu stärken.

In Friedland konnten sich die Teilnehmer*innen u. a. in Vorträgen der Caritas Friedland und des Grenzdurchgangslagers darüber informieren, wie das Aufnahmeverfahren in Deutschland funktioniert.

Auf dem Programm stand auch ein Besuch im Museum Friedland. Beim Gang durch die Ausstellung konnte ich mit einigen Teilnehmer*innen sprechen. So erzählte Jennifer Ghikas vom Resettlement Service des UNHCR in Genf, sie sei beeindruckt, wie die Ausstellung deutlich mache, welche umfassenden Wanderungsbewegungen der Zweite Weltkrieg und die Nazi-Herrschaft auslösten. Die Zahlen, die im Museum vermittelt werden, haben es ihr angetan: Etwa, dass in der Nachkriegszeit innerhalb von drei Monaten eine halbe Million Menschen das Grenzdurchgangslager passierten. Auch im Rahmen ihrer Tätigkeit für den UNHCR befasst sich Jennifer Ghikas mit Zahlen. Aktuell gebe es von den weltweit mehr als 60 Millionen Geflüchteten 1,2 Millionen besonders schutzbedürftige, die in das Resettlement-Programm aufgenommen werden müssten. Im Jahr 2016 seien jedoch nur 160.000 Plätze angeboten worden, 2017 sogar nur noch 57.000. Der dramatische Rückgang sei vor allem auf die drastisch gesunkene Aufnahmebereitschaft seitens der USA zurückzuführen.

Mary Abraha vom eidgenössischen Staatssekretariat für Migration berichtete, dass das Resettlement-Verfahren in der Schweiz sehr ähnlich ablaufe wie in Deutschland. In der Ausstellung gefiel ihr „die gute Mischung aus Hintergrundinformationen über historische Zusammenhänge und persönlichen Geschichten einzelner Geflüchteter“. Ähnlich auch das Fazit von Maren Göre vom Bundesinnenministerium: „Die Ausstellung eröffnet über die Geschichte des Grenzdurchgangslagers hinaus den Blick auf größere Kontexte von Flucht und Migration“.

Om Dhungel, Präsident des Verbandes der Bhutanesen in Australien, sagte, durch die Ausstellung würden eigene Fluchterfahrungen relativiert. Er selbst war aus seinem Herkunftsland Bhutan geflohen, wo er seine Frau und seine damals zweijährige Tochter zurücklassen musste. Inzwischen ist er in der Flüchtlingsberatung in Australien tätig und leitet u. a. ein Projekt für die Niederlassung Geflüchteter. Die Arbeit ist sehr erfolgreich, 60 Prozent der Teilnehmer*innen konnten sich seinen Angaben zufolge nach sechs Jahren eine eigene Wohnung in Sydney finanzieren. Ein schönes Beispiel dafür, dass Teilhabe gelingen kann.

Die Begegnungen mit den Gästen aus so verschiedenen Ländern und von solch unterschiedlichen Institutionen waren deshalb spannend, weil sie ganz vielfältige Perspektiven auf die Themen Flucht und Migration hatten. Veranstaltet wurde die Tagung vom Bundesinnenministerium, Caritas Deutschland und dem UNHCR. Wir wünschen allen Teilnehmer*innen viel Erfolg bei ihrer weiteren Tätigkeit im Bereich Resettlement, eine Aufgabe die angesichts der weltweit steigenden Flüchtlingszahlen einerseits und der zunehmenden Abschottung von Staaten wie den USA andererseits zur Zeit sehr schwierig sein dürfte.

Eva Völker

Di, 06.02.2018
Im Raum über den DRK-Suchdienst|

Ein Rundgang voller Erinnerungen

Vor kurzem besuchte Rami A. das Museum Friedland; selbst hat er zweieinhalb Monate im Grenzdurchgangslager Friedland gelebt, stellte von dort aus seinen Asylantrag, zurzeit wohnt er in Göttingen, wo er sich auf sein Studium der Wirtschaftsinformatik vorbereitet.

Während der 24-Jährige durch die Ausstellung geht, erklärt er mir immer wieder verwundert, wie wenig er über die Geschichte Deutschlands wusste und auch wie sehr Deutschland vor seiner Ankunft von Fluchterfahrung geprägt gewesen ist. Er selbst ist im Sommer 2015 aus dem irakischen Mossul hierher geflüchtet, nachdem die Besetzung der Stadt durch den IS nicht mehr zu ertragen war. Er hat sich von seinem alten Leben verabschieden müssen und bemerkt vor allem in dem Teil der Ausstellung, der der Gegenwart gewidmet ist, Überschneidungen mit seiner Flucht: „Ich kenne die Leute, die auch so waren, die auch ihre Familien zurückgelassen haben, ihr Studium, ihre Arbeit, fast alles und die hier gekommen sind um Sicherheit zu suchen, genauso wie ich“. 

Nachdem er einen umfassenden Eindruck vom Museum bekommen hat, sprudelt es nur so aus ihm heraus – er vergleicht unentwegt seine eigenen Erfahrungen in der Erstaufnahmeeinrichtung mit der Vergangenheit. So hätten die Fotos der Ausstellung bei ihm den Eindruck erweckt, dass die Situation in Friedland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht so schlimm gewesen sei, wie er sich das vorgestellt habe. Auch gerade nicht im Vergleich zu den Zuständen, wie er sie im Sommer 2015 bei seiner Ankunft im Grenzdurchgangslager vorgefunden hat. „Es war nie so schlimm, wie was ich eigentlich in real life hier gesehen habe in Friedland, wie die lange Schlange immer an der Essensausgabe oder die Schlange am Anmeldungsbüro“. Es habe sogar Menschen gegeben, die vor der Anmeldung genächtigt hätten, in der Hoffnung, als erste Anrecht auf ein freies Zimmer zu bekommen und das lange Warten zu umgehen. 

Denn als Rami im Sommer 2015 in Friedland unterkam, war die Flüchtlingsunterkunft hoffnungslos überfüllt. Daher bringt das Foto vom leeren Speisesaal der Erstaufnahmeeinrichtung Rami zum Lachen: „So sah es hier nie aus, weil da gab es immer mal Leute, die einfach aggressiv waren oder Leute die einfach hungrig waren“.

Auf die Frage hin, ob er noch gerne auf seine Zeit in Friedland zurückblickt, schüttelt er entschieden den Kopf. „Gibt es ganz ganz wenige Leute die sagen, oh es war schön, weil es so schwierig war, aber als wir gekocht haben, hat sich das richtig richtig glücklich angefühlt.“ 

Unser Rundgang durch das Museum war sehr interessant, wir haben beide sehr viel dazugelernt und wurden durch die Ausstellung zu interessanten Gesprächen angeregt. So hätte ich nicht gedacht, dass ein kleiner Schlafraum die Bewohner*nnen animieren würde, dort mit mehr als zehn Personen zu singen, sich zu unterhalten und von einer besseren Zukunft zu schwärmen. 

Im Endeffekt sollte das ja auch das Resultat eines gelungenen Museumsbesuches sein – eine Anregung, sich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen und eigene Gedanken und Erlebnisse damit zu verknüpfen. Rami jedenfalls blickt mit Freude seinem Studium der Wirtschaftsinformatik in Deutschland entgegen. Das einzige, was ihn noch einmal nach Friedland bringen würde, sagt er, sei ein erneuter Besuch des Museums.

Clara Kampa

Fr, 19.01.2018
Internationale Studierende im Museum Friedland|

Exkursion der "Winter School"

Von weit her sind Studierende am Center for Modern Indian Studies der Universität Göttingen  zusammengekommen, um in einer "Winter School" gemeinsam zum Thema "Inherited Inequality" ("angeborene Ungleichheit") zu forschen.
Neulich unternahm die Gruppe eine Exkursion in das Museum Friedland. Beim Rundgang durch die Ausstellung erhielten die jungen Wissenschaftler*innen Einblick in die Geschichte des Grenzdurchgangslagers und die aktuelle Aufnahmepraxis im Lager.

Bei den rund 30 Studierenden, die sich aus den USA, Indien oder Südafrika für die "Winter School" beworben hatten, stieß die Geschichte von Geflüchteten in Deutschland von 1945 bis heute auf reges Interesse. Je nach ihrem akademischen Hintergrund, der aus Fachrichtungen wie Afroamerikanistik, Politikwissenschaft, Geschichte oder Jura bestand, stellten sie viele interessante Fragen, auf welche die Guides Victoria Jung und Friederike v. Eckardstein oder auch die Gruppe (fast) immer eine Antwort fanden.

Danach führte Kurator Dr. Joachim Baur die Gruppe durch das Grenzdurchgangslager. Neben wichtigen Informationen zu dem Erscheinungsbild und der Funktion des Lagers, vor allem zu den vielschichtigen "Sehenswürdigkeiten" wie z.B. der Friedlandglocke, kam vor allem die Herausforderung zur Sprache, eine Besuchergruppe durch das Lager Friedland zu führen und gleichzeitig einen respektvollen Umgang mit den Bewohner*innen der Einrichtung zu gewährleisten.

Zurück im Museum erwartete die Gruppe eine Reihe von Gästen, die sich freundlicherweise bereit erklärt hatten, die Abschlussdiskussion mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen zu bereichern. Der Leiter der Caritas im Lager Friedland, Thomas Heek, war gekommen und hatte seine Mitarbeiterin Nicole Schmale mitgebracht, die unter anderem in der Asylverfahrensberatung tätig ist. Auch Moaz Jalboutt war da, der das Lager Friedland nach seiner Flucht aus Syrien selbst durchlaufen hat und heute als Student in Göttingen für die studentische Hilfsorganisation "Conquer Babel" tätig ist.

Gemeinsam mit Joachim Baur hatten sie viele Fragen zu beantworten. Warum steht eine riesige katholische Kirche auf dem Gelände? Und warum gibt es keinen Gebetsraum für Angehörige anderer Religionen? Warum behält Friedland die Bezeichnung "Lager" bei, obwohl der Begriff so negativ besetzt ist? Es wurden viele Argumente vorgebracht, die gegen den Gebrauch des Wortes sprechen, dafür spricht jedoch, dass „Lager“ einen Ort bezeichnet, an dem sich Menschen nicht freiwillig aufhalten. Zur Frage, wie die Integration der Geflüchteten in Deutschland verläuft, führte Thomas Heek von der Caritas das schwedische Modell an, das als Beispiel dienen könne. Dort habe sich die Regierung vor etlichen Jahren das Ziel gesetzt, den Zeitraum von der Ankunft der Geflüchteten bis zu ihrer Integration in den Arbeitsmarkt von 5-7 Jahren auf drei Jahre zu verkürzen und ein entsprechendes Programm initiiert.

Es entwickelte sich eine lebhafte und spannende Diskussion, die noch viel länger hätte dauern können. Bestimmt haben die Studierenden auf dem Rückweg nach Göttingen die Gespräche im Zug fortgesetzt.

Di, 09.01.2018
24 Flugstunden bis Friedland|

Besuch vom anderen Ende der Welt

18.547,55 Kilometer Luftlinie sind es von Dunedin, Neuseeland, bis nach Friedland, Niedersachsen. Einmal um die halbe Welt. Diese Strecke haben Ruth und Fiona Nelson zurückgelegt. Sie sind „Kiwis“, wie sich Neuseeländer*innen scherzhaft selbst bezeichnen. Beide kommen aus einer Stadt, die im Süden der neuseeländischen Südinsel liegt, quasi kurz vor den Eisbergen der Antarktis. Von weiter weg kann man wohl kaum zu uns kommen. Eine Station ihrer Europareise ist das Museum Friedland.

Mit großem Interesse und viel Zeit haben sie sich die Ausstellung angeschaut. Besonders spannend fanden sie die Multimedia-Installationen, allen voran das Intro über den Zweiten Weltkrieg, der Hauptursache für Flucht und Migration im 20. Jahrhundert. Auch neuseeländische Truppen waren beteiligt. Sie kämpften an der Seite der Briten, keine andere der alliierten Kriegsparteien hatte im Verhältnis zur Bevölkerungszahl so viele Tote zu beklagen wie Neuseeland.

In dem Raum, der dem Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes gewidmet ist, haben die Kataloge mit den schier unzähligen Fotos vermisster Soldaten die beiden Neuseeländerinnen stark beeindruckt. „Getting all this together is just mind boggling“, staunt Ruth Nelson. “All diese Bilder zusammenzustellen, ist einfach überwältigend”. Besonders spannend finden die beiden Frauen auch, wie unterschiedlich die Menschen hier aufgenommen werden, die in den letzten 70 Jahren nach Deutschland gekommen sind. Während man sich in Deutschland lange Zeit schwer getan hat, sich als Einwanderungsland zu verstehen, könnte Neuseeland ohne Einwanderung kaum funktionieren – es ist geographisch sehr stark isoliert. Ein Viertel der neuseeländischen Bevölkerung ist nicht im Land geboren. „Bei uns kommt es vor allem darauf an, dass man den Kiwi-Akzent einigermaßen draufhat; wo man geboren ist, spielt keine Rolle“, sagt Ruth. Sie arbeitet als Krankenschwester am Dunedin Hospital in einem sehr internationalen Team. Ihre Kolleg*innen kommen aus Indien, China, Samoa und England. Das Vereinigte Königreich ist dann auch die nächste Station für die beiden. Wir haben uns sehr über euren Besuche gefreut! Kia ora, Ruth und Fiona!

Eva Völker

Di, 02.01.2018
Guide Klaus Magnus mit nachdenklichen Teilnehmer*innen|

Bundeswehr zu Besuch

Im Rahmen einer mehrtägigen Reise zum Zweck der politischen Bildung nahmen 20 Mitarbeiter*innen des Zentrums Operative Kommunikation der Bundeswehr an einer Führung durch die Dauerausstellung teil. „Beim Gang durch das Museum wird einem bewusst, wie sich viele Situationen im Lauf der Jahrzehnte wiederholen“, beobachtet Major Matthias Urbanski. Er war bereits vor zwei Jahren mit einer anderen Gruppe der Bundeswehr im Grenzdurchgangslager, um sich über die Arbeit vor Ort zu informieren. Das war, bevor das Museum eröffnet wurde.

Unter den Teilnehmer*innen sind auch zwei Personen, die im Herbst 2015 in Passau im Einsatz waren, als nach der Grenzöffnung Tausende Flüchtlinge über Österreich nach Deutschland kamen. Sie hätten Bilder im Kopf, die Nachkriegsfotos in der Ausstellung sehr ähnlich seien. Auch die Zahlen seien interessant, die den Besucher*innen in der Ausstellung vor Augen geführt werden: Nach dem Krieg kamen innerhalb von nur drei Monaten mehr als 550.000 Menschen in Friedland an. Während früher viele von ihnen aus den ehemals deutschen Ostgebieten kamen, sind sie heute aus Irak, Iran und Afghanistan. Im afghanischen Masar-e Sharif war Matthias Urbanski selbst im Einsatz. Dort war er für die Kommunikation zuständig: Über den Soldatensender „Radio Andernach“ stellte er zum Beispiel Kontakt her zwischen Soldat*innen und Angehörigen in Deutschland. Die dort stationierten Soldat*innen leisteten aber auch Unterstützung beim Aufbau einer eigenen Fernseh- und Radiostation.

„Es macht mich nachdenklich“, sagt Urbanski, „wenn ich auf dem Weg vom Bus über das Gelände des Grenzdurchgangslager Menschen begegne, die aus Afghanistan geflohen sind.“ Er denke darüber nach, welche Entfernungen sie bewältigt hätten. Darüber, was sie unterwegs durchgemacht hätten, und über ihre Beweggründe, die Heimat zu verlassen und tausende Kilometer zurückzulegen. Was das im Einzelnen war, hat auch er in seiner Zeit in Masar-e Sharif selbst miterlebt: Gewalt, Armut, das Fehlen jeglicher Strukturen für Bildung und Zukunft.

Ein Leben in Frieden, mit Chancen auf Bildung und eine Zukunft – darauf hoffen die Menschen, die seit mehr als 70 Jahren im Lager Friedland ankommen.

Eva Völker